Kaum wiedergewählt, löst der Bundespräsident eine Debatte aus: Er fordert die Direktwahl des höchsten Staatsamts und mehr Bürgerbeteiligung. Die Union reagiert gereizt.

Berlin

Es ist nicht überliefert, ob sich Horst Köhler am Sonnabend nach seiner Wiederwahl den Rat des CSU-Politikers Peter Gauweiler einholte. Aber Gauweiler und Köhler hatten in den Stunden nach der Bundesversammlung offenbar dieselbe Idee. "Ich hoffe, dass ich das noch in meinem Leben noch erlebe, dass der Bundespräsident direkt gewählt wird", hatte Gauweiler gerade erst dem Abendblatt gesagt, als Horst Köhler in einem ZDF-Interview genau diesen Vorschlag ebenfalls laut durchdachte.

Gauweilers Zuspruch war Köhler damit sicher, aber nicht das Wohlwollen aus dem restlichen Unionslager. Das regierte eher gereizt auf den Vorstoß des frisch bestätigten Bundespräsidenten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte im Deutschlandfunk, die Direktwahl des Staatsoberhauptes hätte "eine nachhaltige Verschiebung in den politischen Gewichten" zu ungunsten des Bundeskanzlers oder der Bundeskanzlerin zur Folge, da auch dieses Amt nicht direkt vom Volk, sondern indirekt vom Bundestag gewählt werde. Zudem verwies Lammert auf Umfragen, wonach ein Großteil der Bürger den Eindruck habe, mit dem Grundgesetz "im Ganzen glänzend gefahren" zu sein. Daher empfehle es sich, "bei dieser bewährten Architektur zu bleiben".

Auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) lehnte eine Direktwahl ab. "Der Bundespräsident sollte aus dem ganzen Wahlkampfgetümmel herausgehalten werden", sagte Kauder in den "Tagesthemen" der ARD. Bei einer "Volkswahl" müssten sich die Parteien "ganz intensiv einschalten", betonte er und fand, "dass der Bundespräsident über diesen Dingen stehen sollte". Der

CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sah ebenfalls "keinen Änderungsbedarf". Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er: "Das jetzige Wahlverfahren für das Amt des Bundespräsidenten und seine Amtsstellung haben sich bewährt." Für Köhlers Vorschlag, die Bürger bei anderen wichtigen Entscheidungen zu beteiligen, zeigte Seehofer hingegen "hohe Sympathie".

Die FDP hingegen unterstützt Köhlers Vorschlag erwartungsgemäß. "Wäre das bei dieser Wahl der Fall gewesen, so wäre Bundespräsident Horst Köhler mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt worden", sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel dem Kölner Stadt-Anzeiger. Die Liberalen hätten schon vor langer Zeit vorgeschlagen, den Bundespräsidenten für eine einmalige Amtszeit von sieben Jahren direkt wählen zu lassen.

Man kann davon ausgehen, dass Köhler trotz der Kritik aus den eigenen Reihen nicht locker lassen wird. Und dass ihm die Stärkung der Bürgerbeteiligung in der Demokratie ein Anliegen ist, hatte er bereits in seiner kurzen Rede nach dem Bekanntwerden des Wahlergebnisses zum Ausdruck gebracht. "In unserer Demokratie zählt jede Stimme, doch zur Erfüllung gehört auch das Gefühl: Jeder wird gebraucht", hatte Köhler gesagt. "Demokratie, das sind wir alle. Und jeder soll erfahren, dass es auf ihn ankommt. Dafür zu arbeiten, das soll unsere Aufgabe sein, dem fühle ich mich besonders verpflichtet."

Der Bundespräsident steckte auch gleich seine Themengebiete für die kommenden fünf Jahre ab: "Arbeit, Bildung, Integration - das sind die Felder, auf denen wir vorankommen müssen." Indem er das Ziel einer "menschlichen Globalisierung" und einer "umweltgerechten Weltwirtschaft" benannte, umriss Köhler die weiteren Inhalte seiner am 1. Juli beginnenden zweiten Wahlperiode. Köhler wird sich in all diesen Fragen immer wieder zu Wort melden. Und es ist davon auszugehen, dass er dies nun durch die Stärkung der Wiederwahl noch selbstbewusster tut. Derweil hatte die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast klare Vorstellungen von dem, was Köhler in den kommenden fünf Jahren anpacken solle: "Er muss mithelfen, die Debatte um die Ursachen und Maßnahmen der Wirtschaftskrise weiterzuführen." Und angesichts des schwarz-gelben Jubels nach der Wahl betonte Künast: "Der Bundespräsident muss seine Unabhängigkeit bewahren und darf sich nicht funktionalisieren lassen." Auch in diesem Punkt wurde Köhler wie auf Zuruf sehr deutlich: Er lehne es strikt ab, als Vorbote eines Machtwechsels in Anspruch genommen zu werden, sagte er dem ZDF. "In meiner Wahrnehmung als Bundespräsident sieht man sich nicht als Teil einer Regierungskonstellation oder -koalition. Man macht seinen Job."