Rating-Agentur Moody's zweifelt an Deutschlands Spitzenbonität. Ist die Euro-Schuldenkrise noch beherrschbar? Experten melden ernste Zweifel an. Sie halten den negativen Ausblick der Ratingagentur Moody's für Deutschland für berechtigt.

Berlin. Die Ratingagentur Moody's hat den Ausblick für die Kreditwürdigkeit des Rettungsschirms EFSF auf negativ gesenkt. Zur Begründung verwies die Agentur am frühen Mittwochmorgen auf die Senkung des Ausblicks für Deutschland, die Niederlande und Luxemburg am Vortag. Alle drei trügen erheblich zum Rettungsschirm bei, allein Deutschland schultere 29,1 Prozent. Bisher bewertete Moody's den Ausblick für den EFSF mit stabil.

Die Ratingagentur hatte den negativen Ausblick für Deutschland, die Niederlande und Luxemburg am Dienstag mit dem „Ausmaß der Ungewissheit über den Ausblick für den Euroraum“ begründet. Die möglichen Auswirkungen plausibler Szenarien über Mitgliedstaaten rechtfertigten nicht mehr einen stabilen Ausblick. So wäre nach Moody's Einschätzung ein griechischer Austritt aus dem Euro „eine materielle Bedrohung für den Euro“.

Die Reaktion folgte prompt. Keine drei Minuten nachdem Moody's am späten Montagabend in London seine Zweifel an der deutschen Spitzenbonität verkündet hatte, kam die Replik aus dem Finanzministerium. Man nehme die Entscheidung der US-Rating-Agentur "zur Kenntnis", ließ Wolfgang Schäuble (CDU) mitteilen. "Die von ihr genannten Risiken in der Euro-Zone sind nicht neu, wobei die Einschätzung vor allem die kurzfristigen Risiken in den Vordergrund stellt, während längerfristige Stabilisierungsaussichten unerwähnt bleiben."

Unter Wirtschaftsexperten und Politikern wächst die Sorge, dass Deutschland mit der Schuldenkrise in der EU bald überfordert sein könnte. Die Meinungen über die Folgen einer Staatspleite Griechenlands gehen auseinander. „Europa steuert schlafwandelnd auf eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen zu“, heißt es in einem Gutachten von 17 europäischen Ökonomen, das der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch vorlag. Die Wissenschaftler, darunter der Sachverständige Peter Bofinger, verlangen von den Regierungen dringend mehr Anstrengungen, um den drohenden Kollaps noch zu vermeiden. Eine langfristige Transferunion lehnen sie dagegen ebenso ab wie Eurobonds.

Die Beseitigung der Altlasten – also der Schuldenkrise – müsse noch stärker als bisher von allen Euro-Ländern gemeinsam getragen werden, heißt es in der Studie, die vom US-Institute for New Economic Thinking veröffentlicht wurde. Kurzfristig sei unter anderem die Ausweitung des Garantierahmens für die Schuldenstaaten notwendig, sofern sie die vereinbarten Reformauflagen umsetzten.

Der Wirtschaftsweise Lars Feld, einer der 17 Gutachter, nannte den kritischen Ausblick von Moody's für Deutschland berechtigt. Er plädierte dafür, Griechenland in der Eurozone zu halten. Ein drittes Rettungspaket dürfe es aber nicht geben, wenn die Regierung in Athen Auflagen nachweislich nicht erfüllt habe, sagte der Freiburger Ökonom der „Rheinischen Post“ (Mittwoch).

Auch das Münchner Ifo-Institut sieht in der neuen Bewertung Deutschlands eine deutliche Warnung. „Wir sehen uns in unserer Analyse bestätigt, dass auch Rettung ansteckend sein kann“, sagte Ifo-Konjunkturchef Kai Carstensen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Wenn Griechenland zahlungsunfähig werde und aus der Eurozone ausscheide, müsse Deutschland mit bis zu 82 Milliarden Euro Verlust rechnen, ergab eine Analyse des Instituts nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung.

Carstensen sagte, im schlimmsten Fall werde Deutschland mit 770 Milliarden Euro belastet. Darin enthalten seien die Risiken aus den Rettungsfonds, die Anleihen der Europäischen Zentralbank und 400 Milliarden Euro an Forderungen, die Deutschland über das europäische Abwicklungssystem Target gegenüber den Krisenländern aufgebaut habe.

Der Präsident des Bayerischen Finanzzentrums, Wolfgang Gerke, nannte den Austritt Griechenlands aus dem Euro unvermeidbar. „Je länger damit gewartet wird, desto mehr wird es kosten“, sagte er der „Schweriner Volkszeitung“. „Wenn jetzt Ratingagenturen wie Moody's vonseiten der Bundesregierung kritisiert werden, ist dies eine billige Ablenkung.“

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) meinte, wenn Griechenland mit seiner Restrukturierung nicht vorankomme, „wären finanziellen Hilfen Leistungen in ein Fass ohne Boden. Das geht nicht, und Griechenland selbst müsste dann die Konsequenzen ziehen“, sagte Seehofer der „Passauer Neuen Presse“. Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte dem „Straubinger Tagblatt“: „Es kann keine neuen Hilfspakete für Griechenland geben und auch keine Zugeständnisse inhaltlicher Art oder auf der Zeitachse.“

Die Märkte hätten weiterhin großes Vertrauen in die Bundesrepublik, meinte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. "Teilweise bekommen wir sogar dafür Geld bezahlt, wenn wir unsere Staatsanleihen zum Kauf anbieten", sagte er der Zeitung "Die Welt". "Deutschland hat ein solides Wirtschaftswachstum, die Beschäftigungslage ist hervorragend und Schwarz-Gelb hat viel dafür getan, den Finanzsektor zu stabilisieren."

Auch der Vize-Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Meister (CDU), sieht keinen Grund zu Unruhe. "Die Vergabe der Bestnote zeigt, dass Deutschland wirtschaftlich und finanzpolitisch gut aufgestellt ist", sagte er. "Dieses Ergebnis sollten wir nicht zerreden", warnte der CDU-Finanzexperte. Er zeigte sich optimistisch, dass der Ausblick bald wieder auf stabil gesetzt werde. "Bei Fortsetzung der stabilitäts- und wachstumsorientierten Politik dieser Bundesregierung werden wir auch bald wieder einen stabilen Ausblick erwarten können."

Tatsächlich ist nicht gesagt, dass der Mahnung aus London auch eine Abstrafung folgt. Und trotzdem sorgt der Warnschuss für mehr Unruhe in Berlin, als die beschwichtigenden Worte der Koalitionäre erkennen lassen. So fürchtet man im Kanzleramt schon länger, dass die Verpflichtungen bei der Euro-Rettung irgendwann auch das Vertrauen der Investoren in Deutschlands Leistungsfähigkeit schmälern könnten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nervös auf Erklärungen eines Anlagefonds vor einigen Wochen reagiert, Bundesanleihen zu meiden. "Auch Deutschlands Kräfte sind nicht unbegrenzt", warnte sie im Bundestag.

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+++ Moody’s senkt Ausblick für Deutschland auf "negativ" +++

Deutschland haftet bei den Rettungsschirmen EFSF, ESM sowie bei dem Extra-Paket für Griechenland bereits insgesamt mit 310 Milliarden Euro. Das ist mehr als ein kompletter Bundeshaushalt an Risiken. Und wegen der Hilfe für die spanischen Banken könnten bis zu 29 Milliarden Euro hinzukommen. So begründet Moody's seine Entscheidung auch mit "Eventualverbindlichkeiten" aus der Euro-Rettung.

In der schwarz-gelben Koalition wachsen allerdings Bedenken gegen weitere Risiken. Vor allem aus Bayern sind kritische Töne zu hören, so auch gestern bei der Sitzung des Kabinetts in München. Deutschland müsse alles daransetzen, dass es zu keinem Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten komme, gab CSU-Chef Seehofer als Linie aus. Die Leistungsfähigkeit Deutschlands müsse bei den Rettungsaktionen beachtet werden. Kategorisch ausgeschlossen hat die CSU-Spitze zudem ein drittes Hilfspaket für Griechenland, über das spekuliert wird.

Die Warnung von Moody's dürfte also dazu führen, dass in der Koalition die Bereitschaft sinkt, sich noch stärker bei der Krisenbekämpfung - etwa in Spanien oder Italien - zu engagieren. Damit hätte die US-Rating-Agentur genau das Gegenteil von dem erreicht, was ihr vorschwebt. Auch in der jüngsten Entscheidung kritisierte sie wieder die "abwägenden Reaktionen europäischer Politiker". Im Klartext: Die Bonitätsprüfer fordern einen großen Befreiungsschlag in der Euro-Zone. Das könnte die Vergemeinschaftung von Schulden bedeuten - oder einen stärkeren Einsatz der EZB. Das Kalkül: Wenn die Verbindlichkeiten aller Euro-Staaten zusammengeworfen werden, sinkt die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Währungsunion - und damit auch das Risiko, dass Deutschland seine Hilfskredite abschreiben muss.

Von dieser Logik hält man in der Koalition wenig. Brüderle sagte, dass die Bundesregierung wiederholt auf die Belastungsgrenzen Deutschlands hingewiesen habe. "Dies schließt jedwede Haftungsvergemeinschaftung aus." Vertrauen gewinne die Euro-Zone als Ganzes nur zurück, wenn die Nehmerländer ihre Reformzusagen einhalten würden.

Sie sollen durch harte Reformen und Sparsamkeit ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Ökonomen aus den USA und auch die Rating-Agenturen sehen hingegen auch systematische Fehler in der Euro-Zone. Nach ihrer Einschätzung kann eine Währungsunion nur funktionieren, wenn es eine gemeinsame Finanzpolitik gibt - und damit auch eine gemeinsame Haftung für Schulden oder Risiken von Banken. (dapd/dpa)