Die derzeitigen Leistungen für Asylbewerber von 224 Euro im Monat verstoßen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.
Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat sein Urteil gefällt: Asylbewerber in Deutschland müssen künftig mehr Geld bekommen. Die derzeitigen Leistungen verstoßen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, entschieden die Karlsruher Richter in einem am Mittwoch verkündeten Urteil. Zudem sei „die Höhe der Geldleistungen weder nachvollziehbar berechnet worden, noch ist eine realitätsgerechte, am Bedarf orientierte und insofern aktuell existenzsichernde Berechnung ersichtlich“, heißt es in dem Urteil. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Sozialleistungen für Flüchtlinge neu zu regeln. Bis dahin gilt eine Übergangsregelung (Az. 1 BvL 10/10 und 2/11). Das Urteil erging mit sechs zu zwei Richterstimmen. Das derzeitige Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 eingeführt.
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Das Gesetz sieht für Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge und geduldete Flüchtlinge deutlich geringere Sozialleistungen als für Deutsche vor. Die Grundleistungen für einen erwachsenen Flüchtling mit 224 Euro monatlich liegen um 40 Prozent unter dem Betrag, den Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger erhalten. Damit werde das zur Sicherung des Existenzminimums Erforderliche „evident verfehlt“, sagte der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, bei der Urteilsverkündung. Schon die Hartz-IV-Sätze gelten als Existenzminimum.
Das Existenzminimum stehe deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zu. Es sichere nicht nur das körperliche Überleben, sondern auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und „ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben“. Maßgeblich für die Berechnung sind die Verhältnisse in Deutschland. Das zu einem menschenwürdigen Leben Notwendige dürfe nicht „unter Hinweis auf das Existenzniveau des Herkunftslandes“ niedriger bemessen werden, so die Richter. „Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen.“
Auch eine kurze Aufenthaltsdauer rechtfertige an sich keine Beschränkung des Existenzminimums. Der Gesetzgeber müsse die Leistungen „in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen und jeweils aktuellen Bedarf“ bestimmen.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. „Das Gericht beendet ein jahrelanges Unrecht“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt: „Flüchtlinge sind keine Menschen zweiter Klasse.“ Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte: „Seit langem war offensichtlich, dass die bisher gewährten Leistungen für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen.“
Ursprünglich galt das Asylbewerberleistungsgesetz nur für Flüchtlinge während des Asylverfahrens. Die Regelung wurde aber auf andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht ausgeweitet – nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren es zum Jahresende 2010 insgesamt 130.300 Menschen.
Die beiden Kläger, ein kurdischer Flüchtling aus dem Irak und ein heute elfjähriges, aus Liberia stammendes Mädchen, waren vor Gericht gegangen, weil die Hilfeleistungen „evident unzureichend“ seien und ihr lebensnotwendiger Bedarf nicht nachvollziehbar ermittelt worden sei. Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen fordern seit Jahren, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen.
Mit Material von epd/dpa