Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig über Männer in der Kita und befristete Arbeitsverträge als Geburtenhemmnis.
Hamburg. Als Manuela Schwesig sagt, wie eine gute Kita funktionieren sollte, erzählt die stellvertretende Vorsitzende der SPD und Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern auch immer wieder von ihrem eigenen Sohn. Schwesig ist 38 Jahre alt, ihr Sohn fünf - und er sei von seinem Kindergarten "ganz begeistert". Ein Gespräch über männliche Erzieher in Kinderkrippen und die Familienpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung.
Hamburger Abendblatt: Frau Schwesig, die Zahl der Geburten ist 2011 weiter gesunken, trotz Kindergeld, trotz Elterngeld. Ist Deutschland kinderfeindlich?
Manuela Schwesig: Deutschland ist jedenfalls nicht kinderfreundlich. Das Elterngeld ist ein wichtiger Baustein für junge Familien. Es schafft Sicherheit und mit den Vätermonaten gleiche Verantwortung zwischen Mann und Frau bei der Erziehung. Aber es ist ein Irrglaube, dass sich Eltern für mehr Kinder entscheiden, nur weil sie mehr Geld vom Staat erhalten. Geld ist nicht die Schlüsselfrage.
Was dann?
Schwesig: Entscheidend ist vor allem eine gute Kinderbetreuung vor Ort. Und Eltern brauchen Planbarkeit - in der Familienpolitik, aber auch im Beruf: Die prekären Verhältnisse in der Arbeitswelt und die zunehmenden befristeten Vertragsverhältnisse sind das größte Geburtenhemmnis in Deutschland. Wer nur das nächste halbe Jahr weiß, wie es weitergeht, der erfüllt sich seinen Kinderwunsch nicht.
Was kann die Politik tun?
Schwesig: Die SPD hat sich zum Ziel gesetzt, die befristeten Verträge auf dem deutschen Arbeitsmarkt massiv einzudämmen. Zudem muss jeder Euro in den Ausbau von Ganztagskrippen und Ganztagsschulen gesteckt werden.
Über Nacht werden Milliarden Euro für Bankensanierungen und Griechenland-Rettungsschirm ausgegeben. Andererseits hadern Politiker, ein paar Millionen für unsere Kinder auszugeben. Macht Sie das wütend?
Schwesig: Ja, das macht mich wütend. In unserem Land fehlt immer noch eine starke Lobby für Kinder. Auch in den Parteien brauchen wir mehr Frauen und Männer, die für Familien und Kinder die Stimme erheben. Von der zuständigen Ministerin Schröder ist jedenfalls nichts zu erwarten. Sie lässt die Familien komplett im Stich.
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Kann der Staat denn wirklich für steigende Geburtenraten sorgen?
Schwesig: Nein, Familienpolitik sollte auch nicht klagen über die Kinder, die nicht geboren werden. Wir sollten uns um die Kinder kümmern, die auf der Welt sind. Und das tut Deutschland nicht ausreichend. Das sieht man nicht nur bei der Kinderbetreuung. Zwei Millionen Kinder wachsen bei uns in Armut auf, jährlich verlassen fast 60 000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Auch dort müssen wir ansetzen.
Welches Land ist bei der Familienpolitik Ihr Vorbild?
Schwesig: Schweden und auch Frankreich sind bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel fortschrittlicher als Deutschland. Bei uns bauschen Merkel und Seehofer mit der Debatte um das Betreuungsgeld wieder das Bild der Rabenmutter auf. Nach dem Motto: Geld soll nur bekommen, wer sein Kind nicht in die Kita gibt. Das ist aber Unsinn, denn Eltern geben ihr Recht auf Erziehung nicht an der Kita-Tür ab. Eltern und Kinderbetreuung in der Kita gehören zusammen.
Was ist Ihr Bild einer modernen Familie?
Schwesig: Es geht vor allem um die Gleichstellung von Mann und Frau bei der Erziehung. Da hat das Elterngeld mit den Vätermonaten schon sehr geholfen. Es ist heute schon selbstverständlicher, wenn Vater und Mutter gleichermaßen für die Erziehung der Kinder zuständig sind und auch beide ihrem Beruf nachgehen.
Wie ist das bei den Schwesigs zu Hause?
Schwesig: Mein Mann und ich teilen uns die Erziehungsarbeit. Das geht auch nicht anders, denn wir sind beide voll berufstätig. Auch er hat 2007 die Vätermonate in Anspruch genommen. Da hat sein Chef noch irritiert gefragt: "Sie wollen wirklich diese komischen Monate frei nehmen?" Ich kann nur jedem Unternehmer sagen: Anstatt die Manager zu teuren Lehrgängen über Sozialkompetenzen zu schicken, sollten sie die Väter in Elternzeit schicken.
Auch die Bundesregierung will den Kita-Ausbau vorantreiben. Ist das versprochene Recht auf einen Kita-Platz für ein- und zweijährige Kinder bis Mitte 2013 noch einhaltbar?
Schwesig: Einige Kommunen schlagen Alarm, dass sie den Rechtsanspruch nicht erfüllen können. Entscheidend wird dabei aber nicht nur die Zahl der Kita-Plätze sein. Wir benötigen auch bessere und flexiblere Angebote, etwa für Ärzte oder Krankenpfleger oder andere Beschäftigte, die im Schichtdienst arbeiten. In Schwerin läuft eine 24-Stunden-Kita sehr erfolgreich. Das zeigt, der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz muss ausgeweitet werden zu einem Recht auf ganztägige Betreuung - in der Kita und in der Schule. Mit 20 Milliarden Euro zusätzlich können wir das bis ins Jahr 2020 erreichen.
Brauchen wir eine Kita-Pflicht?
Schwesig: Eine Kita-Pflicht macht keinen Sinn. Eltern wollen ihre Kinder ja in die Kita schicken. Es fehlen nur der Platz oder das Geld. Auf Dauer versuchen wir in Mecklenburg-Vorpommern kostenlose Kita-Betreuung durchzusetzen. In einem ersten Schritt unterstützt das Land Eltern nun mit 100 Euro bei den Gebühren für die Betreuung.
36 Prozent aller Kinder in Mecklenburg-Vorpommern wachsen in Familien von Harzt-IV-Empfängern auf. Welchen gesellschaftlichen Stellenwert erhält da die Kindertagesbetreuung?
Schwesig: Gerade bei der Sprachförderung ganz junger Kinder kommt der Kita eine große Bedeutung zu. Allerdings gilt das nicht nur für sozial schwache Familien. Auch mein Sohn ist von der Kita begeistert. Ihm tut das Umfeld mit anderen Kindern richtig gut.
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Nach Angaben des Bildungsberichts von Bund und Ländern werden ein Viertel der Drei- bis unter Siebenjährigen als "sprachförderbedürftig" eingestuft. Wie viele Mitarbeiter braucht eine Kita, um gut zu arbeiten und diese Missstände auffangen zu können?
Schwesig: Die Fachverbände raten in einer Krippe zu einem Verhältnis von einer pädagogischen Fachkraft für vier bis fünf Kinder, im Kindergarten für zehn bis zwölf Kinder. Davon sind wir weit entfernt, deshalb brauchen wir mehr Geld für Qualität.
Und doch ist die Situation in den Ländern ganz unterschiedlich. Was halten Sie von einer Art "Zentralabitur" für Kitas?
Schwesig: Von einer Abschlussprüfung für den Kindergarten halte ich nichts. Entscheidend sind einheitlichen Standards und Abschlüsse bei der Ausbildung der Erzieher an den Hochschulen und in den Betreuungseinrichtungen.
Wie wichtig sind eigentlich Männer als Betreuer in der Kita?
Schwesig: Es sollte immer ein Mix aus Frauen und Männern sein. In der Gruppe meines Sohnes ist jetzt auch ein Erzieher in der Ausbildung. Gerade die Jungs sind begeistert. Auch für Väter können männliche Erzieher eine Vertrauensperson im Umgang mit dem eigenen Kind sein. Fakt ist, dass wir mehr Männer in Krippen und Kindergärten benötigen. Fakt ist aber auch, dass Männer sich erst für diesen Beruf entscheiden, wenn die Arbeit endlich auch für Männer gesellschaftlich akzeptiert ist und die Bezahlung deutlich höher ist als derzeit.
Mit einem Mix aus Frauen und Männern will auch Ihr Parteichef Sigmar Gabriel in den Wahlkampf für den Bundestag im kommenden Jahr ziehen. In dem Team wären Sie doch sicherlich als Ministerin gesetzt.
Schwesig: Wir sprechen im Moment weder über die Frage nach einem Kanzlerkandidaten noch über mögliche Ministerposten. Dass Sigmar Gabriel sagt, die Hälfte eines Regierungskabinetts müsse aus Frauen bestehen, ist eine Selbstverständlichkeit. Die SPD verlangt von den Unternehmen eine Frauenquote von mindestens 40 Prozent. Das heißt doch auch, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen müssen.