Beim Treffen mit der Bundeskanzlerin in Rom gibt sich Italiens Premier zahm. Denn noch ist offen, was sein Sieg vom EU-Gipfel wert ist.
Rom/Berlin. Kein Küsschen zur Begrüßung. "Angela" und "Mario", beide sprechen sich mit Vornamen an, schüttelten auf der Kiesauffahrt zur Villa Madama nur Hände. Vor zwei Wochen hatte hier noch Mario Monti ein Küsschen zum Abschied von Angela Merkel bekommen, während sich Monsieur Hollande aus Frankreich und Señor Rajoy aus Spanien mit der Hand der Kanzlerin begnügen mussten.
Der Medici-Bau war gestern wieder genauso eindrucksvoll. Ansonsten aber war vieles anders als im Juni beim Vierergipfel. Vor allem lag der dramatische EU-Rat, auf dem Monti der deutschen Regierungschefin Zugeständnisse abgepresst hatte, zwischen beiden Terminen. Die beiden Kontrahenten begegneten sich bei diesen deutsch-italienischen Konsultationen, zu denen die Kanzlerin gleich mit fünf Ministern auf dem Monte Mario vorgefahren kam, zum ersten Mal wieder.
Das Treffen durfte damit als belastet gelten. In Berlin wurde das rabiate Vorgehen des italienischen Premiers in der langen Nacht von Brüssel vielfach als Foul interpretiert. Monti hatte Merkel mit Hilfe der Spanier und dem Wohlwollen der Franzosen Zugeständnisse bei der Euro-Krisenbekämpfung abgerungen. Er hatte sich als Sieger feiern lassen, während die Kanzlerin sich im Bundestag für ihre Zusagen rechtfertigen musste.
"Es ist mir jedes Mal immer wieder eine Freude, mich mit Angela Merkel zu treffen", versicherte der italienische Regierungschef. Ob die Kanzlerin noch ähnlich empfindet? Sie dankte "Mario" immerhin für die Einladung an "diesen wunderschönen Ort". Und sie vermied öffentliche Kritik für das Vorgehen in Brüssel. "Jedes Land fährt in den Rat und macht seine Interessen deutlich." Das klang fast verständnisvoll.
Monti hatte sich schon vor dem Treffen bemüht, die Wogen zu glätten. Die Durchsetzung der wohlverstandenen Interessen seines Landes seien ja durchaus nicht erzwungen, sondern in "klassischen Verhandlungsmethoden" gemeinsam erreicht worden, teilte er der Kanzlerin via "FAZ"-Interview mit. Alles Übrige sei eine böswillige Missinterpretation. "Angela plus Mario ist gleich ein Schritt nach vorne für die europäische Wirtschaftspolitik." Deshalb sei sein Vorstoß auf dem EU-Gipfel nur als ein Schritt "für das Wachstum und die finanzielle Stabilität" Europas zu verstehen. Nichts sonst.
"Italien verlangt keine Rettung oder Euro-Bonds", ließ Monti nun die deutsche Öffentlichkeit wissen. Das ist überraschend, weil er sich noch am Dienstag vor dem Senat in Rom damit brüstete, in Brüssel die Gemeinschaftsanleihen auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, was einigen Ländern "wenig Freude" bereitet habe - allen voran Deutschland. Monti hatte seine Verhandlungsstrategie vor dem deutsch-italienischen Gipfel schon ein wenig weiter geflochten. Es ist ein Lehr- und Meisterstück in der Kunst der italienischen "precisione elastica", die der alte Fuchs der deutschen Kanzlerin in den letzten Wochen und Tagen hat zuteil werden lassen. Von dieser Kunst ließ er auf dem neuen Gipfel nicht ab. Monti geht es ähnlich wie Merkel, auch er steht innenpolitisch unter Druck. Die Kanzlerin muss sich mit Drohungen von CSU-Chef Horst Seehofer herumquälen, der vor zu vielen Zugeständnissen bei der Euro-Rettung warnt. Auch in den Fraktionen rumort es.
Von Monti wird zu Hause erwartet, dass er möglichst viel in Brüssel durchsetzt, gegen die Kanzlerin. Die Italiener wollen eine Belohnung für ihre Reformanstrengungen. Ansonsten könnte es für Montis Regierung ungemütlich werden, im April 2013 wird gewählt. Seine Botschaft an Merkel ist klar: Einen verlässlicheren Partner als ihn wird sie in Rom nicht bekommen. Er selbst sieht sich als "deutschesten aller italienischen Regierungschefs". Neben der Kanzlerin gab er ein Versprechen: "Die italienische Regierung ist entschlossen, den Weg der Verschuldungseindämmung weiterzugehen."
Wenn Monti nun verbal abrüstet, dürfte ihn auch die Sorge umtreiben, dass sich sein Brüsseler Sieg doch noch in eine Niederlage wandeln könnte. Zwar verspricht die Einigung der Euro-Regierungschefs eine "flexible und effiziente Nutzung" der Rettungsinstrumente. Dabei geht es vor allem um den Ankauf von Staatsanleihen durch die Euro-Hilfsfonds, um die hohen Zinsen zu drücken. Das Dokument stellt den Nutznießern solcher Eingriffe weniger umfangreiche Reformprogramme in Aussicht. Vor allem dieser Punkt war als Montis Triumph interpretiert worden.
Allerdings ist noch nichts fixiert. Mit der Umsetzung sind die Euro-Finanzminister beauftragt, die sich am Montag treffen. Und schon gibt es Stimmen, die die Zugeständnisse an die Südeuropäer gerne zurückdrehen würden. Die finnische Regierung hat mitgeteilt, dass sie solche Anleihekäufe blockieren werde. Man halte sie nicht für "effizient". Ähnlich kritische Töne sind aus Holland zu hören.
Nun zeigt sich, wie schwammig der Beschluss des EU-Gipfels ist. Die Verlierer sehen darin eine Chance. Und Sieger Monti muss sich fürchten vor Rache für seine brachiale Taktik und seinen lauten Jubel. Beides kam in Helsinki und Amsterdam nicht gut an. Und auch nicht in Berlin, wo der Bundestag allen Regeländerungen bei den Rettungsschirmen zustimmen muss. Zudem müssten mögliche Hilfsmaßnahmen für Italien einstimmig beschlossen werden. Nun droht also Monti eine Blockade. Das hat er registriert: "Wir werden versuchen, den Widerstand von Ländern wie Finnland und den Niederlanden zu überwinden, die eine gewisse Intoleranz gegenüber Stabilitätsmechanismen haben."