Das Treffen von Kanzlerin Angela Merkel und Premier David Cameron wird von heftigem Streit über die Zukunft der EU überschattet.
Berlin. Wenn David Cameron heute Berlin besucht, wird es ungemütlich werden. Seit Tagen hängt eine nasskalte Nebelsuppe über der deutschen Hauptstadt. Die meist schon kahlen Bäume vermögen das Grau von Himmel und Asphalt nicht mehr zu durchbrechen. Auch die Temperaturen sind bei null angelangt. Das alles passt zu der Eiszeit, die zurzeit zwischen Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) herrscht. Mit ihren weit auseinanderliegenden Vorstellungen darüber, wie Europa die Schuldenkrise bewältigen könnte, haben sie einen Graben aufgetan, den Beobachter mittlerweile für unüberbrückbar halten. "Europas seltsames Paar" nennt der britische "Guardian" die Politiker. Sollten sie es schaffen, zu einer Einigung zu kommen, sei dies das "Wunder von der Spree".
+++ Merkel fordert weitere Schritte zur Euro-Stabilisierung +++
Doch noch gilt die alte Linie: Merkel favorisiert mehr Europa, Cameron will weniger. Die Bundeskanzlerin will Wirtschaft und Finanzen in der EU harmonisieren und pocht auf Änderungen der EU-Verträge. Dabei soll es vor allem um ein europäisches Eingriffsrecht in nationale Haushalte gehen. Die Defizitsünder in der 17 Länder umfassenden Euro-Zone sollen künftig stärker sanktioniert werden können. Ein "Durchbruch zu einem neuen Europa" könne nur mit Vertragsänderungen gelingen, sagte Merkel gestern bei einer Veranstaltung der "Süddeutschen Zeitung". Das Problem: Alle 27 EU-Staaten müssten den Änderungen zustimmen. Und nicht nur Großbritannien ist äußerst skeptisch. Die neue dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt reagierte bei ihrem Berlin-Besuch am Donnerstag zurückhaltend auf die Forderung. Man werde darüber beim EU-Gipfel im Dezember beraten, sagte sie. Zunächst müsse man die Krise als solche angehen. Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker setzte die Kanzlerin an einer anderen Stelle unter Druck: Er halte den Schuldenstand der Bundesrepublik für besorgniserregend, sagte er dem "Bonner General-Anzeiger". Deutschland habe höhere Schulden als Spanien. "Nur will das hier keiner wissen", sagte Juncker.
+++ Briten machen Front gegen ein "deutsches Europa" +++
In Großbritannien hatte Cameron vor einigen Tagen angekündigt, sich angesichts der Krise wieder mehr Kompetenzen aus Brüssel zurückholen zu wollen. Die EU brauche die "Flexibilität eines Netzwerks und nicht die Starre eines Blocks." Diese Linie kommt den Euro-Skeptikern in seiner Regierung entgegen. Vor allem treibt sie die Sorge um, die Gemeinschaft könnte sich zu einem geteilten Europa aus der Euro-Zone einerseits und den zehn EU-Staaten andererseits entwickeln. Cameron sieht die Gefahr, sein Mitspracherecht zu verlieren, wenn die Euro-Zone unter deutscher Dominanz immer mehr unter sich ausmacht. Aufregung in der britischen Presse hatte deshalb Unionsfraktionschef Volker Kauder auf dem CDU-Parteitag ausgelöst. Sein Satz "Europa spricht jetzt deutsch" kam auf der Insel gar nicht gut an.
In dieser Gemengelange sorgt auch die von Berlin gewünschte Finanztransaktionssteuer für Wirbel: Die Abgabe auf Geldgeschäfte stößt auf massive Kritik, liegt doch in London eines der Hauptzentren des globalen Finanzwesens. "Völlig ungerechtfertigt" nannte der britische Wirtschaftsminister Vince Cable die geplante Steuer. Innenpolitisch dienen immer neue Meldungen über hohe Arbeitslosigkeit, Wirtschaftsschwäche und hohe Inflation als Argument dagegen, jetzt auch noch die Banken zu belasten.
Das sieht man in Deutschland völlig anders: "Es kann nicht sein, dass in einem global vernetzten Finanzmarkt die Geschäfte in London gemacht werden und wir schwitzen dann die Entzündungen aus, ohne den dortigen Finanzsektor zu beteiligen", sagte der finanzpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Klaus-Peter Flosbach, dem Abendblatt. Europa sei nun mal eine Solidargemeinschaft, und man könne sich nicht nur die Rosinen rauspicken. "An unserem Ziel, eine EU-weite Finanztransaktionssteuer einzuführen, halten wir fest", betonte Flosbach. "Sollten wir dieses Ziel nicht erreichen, wird es darum gehen, möglichst viele Staaten von der Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu überzeugen", so der CDU-Politiker. "Ich würde es begrüßen, wenn unsere britischen Nachbarn konstruktiv mitwirken würden, den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen."