Entwicklungsminister Dirk Niebel über die Krise der FDP. Nach den 1,8 Prozent bei der Berlin-Wahl sollte sich die FDP am Erfolg der Piratenpartei orientieren, sagt der frühere Generalsekretär im Abendblatt-Interview.

Berlin. Nach den 1,8 Prozent bei der Berlin-Wahl sollte sich die FDP am Erfolg der Piratenpartei orientieren, sagt der frühere Generalsekretär im Abendblatt-Interview.

Hamburger Abendblatt:

Herr Niebel, kennen Sie einen Berliner, der FDP gewählt hat?

Dirk Niebel:

Ja, mehrere sogar. Das heißt aber nicht, dass unsere Wähler mit der Kampagne hier in der Bundeshauptstadt zufrieden gewesen wären.

Sie waren es demnach auch nicht.

Niebel:

Einige Plakate waren unverständlich. Außerdem ist die euroskeptische Zuspitzung des Berliner Landesverbandes danebengegangen. Die FDP ist keine euroskeptische Partei, sie war es nie. Und wenn man das so darstellt, dann dreht sich das gegen die FDP. Einen solchen Wahlkampf darf es nicht noch einmal geben.

Sieben Landtagswahlen in diesem Jahr, fünfmal an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Selbst Wolfgang Gerhardt hatte als Parteivorsitzender eine bessere Bilanz ...

Niebel:

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber es ist eine bittere Erfahrung für unsere Partei, wie schnell wir das Vertrauen der Menschen verloren haben. Wir konnten viel zu wenig von dem durchsetzen, was wir vorhatten.

Braucht die FDP wieder einen Neustart?

Niebel:

Wir brauchen Starthilfe. Wir müssen uns an die Grundwerte des Liberalismus erinnern und sie deutlicher herausstellen. Dazu gehören vor allem die bürgerlichen Freiheitsrechte. Wir werden im Oktober eine gemeinsame Klausursitzung von Präsidium und Bundesvorstand haben, um weitere Schritte zu besprechen. Dabei müssen wir uns auch den Erfolg der sogenannten Piratenpartei hier in Berlin vor Augen führen.

Von den Piraten lernen heißt siegen lernen?

Niebel:

Viele Dinge, die von den Piraten gefordert werden, unterstütze ich nicht. Aber eines ist vollkommen klar: Die Freiheit des Individuums stand im Zentrum der Kampagne der Piraten. Das Grundthema Freiheit ist hochaktuell. Außerdem müssen wir uns den Politikstil der Piraten anschauen. Ein gewisses Maß an Spontaneität kann hilfreich sein.

Spontan war die FDP im Wahlkampf 2002. Projekt 18, Guidomobil ...

Niebel:

Die Mischung macht's. Für den Wahlerfolg braucht es eine Kombination aus Lebensfreude und klaren politischen Inhalten.

Sie wünschen sich also kein Philippomobil, aber mehr Spaß im Wahlkampf.

Niebel:

Ich glaube schon, dass wir die Menschen vor der Bundestagswahl 2002 mit Spontaneität und Lebensfreude angesprochen haben. Wir müssen zeigen, dass Politik auch Spaß machen kann.

Zum Jahreswechsel hatten Sie gesagt, die Jungen in der FDP - gemeint waren Rösler, Lindner, Bahr - bräuchten noch einige Zeit, um ihre Fähigkeiten zu veredeln. Man hat nicht auf Sie gehört ...

Niebel:

Es ging dann doch sehr schnell. Die FDP hat sich entschieden, auf dem Parteitag im Mai eine neue Führung zu wählen. Es ist, wie es ist. Eine neue Führung braucht ihre Zeit, bis sie sich zurechtgerüttelt hat. Uns allen war klar, dass die Wahlen 2011 enorm schwierig werden. Ziel muss sein, bis zum Dreikönigstreffen auf die Beine zu kommen, damit wir 2012 wieder angreifen können. Wir müssen im Frühjahr die Wahl in Schleswig-Holstein gewinnen.

Mit oder ohne Guido Westerwelle? Es gibt Bestrebungen in der FDP, ihn auch als Außenminister abzulösen ...

Niebel:

Ich habe von dieser Personaldiskussion von Anfang an nichts gehalten. Sie hat innerhalb und außerhalb der FDP zu sehr viel Unmut geführt. Es gibt Dinge, die tut man einfach nicht.

In der FDP wird ein Mitgliederentscheid gegen den dauerhaften Euro-Rettungsschirm vorbereitet. Lässt sich die Initiative noch abwenden?

Niebel:

Darum geht es nicht. Die Führung der FDP hat die Aufgabe, einen alternativen Antrag zur Abstimmung zu stellen, der unsere Mitglieder überzeugt.

Und wenn sich die Gruppe um den Euro-Skeptiker Frank Schäffler durchsetzt?

Niebel:

Es ist eine Führungsaufgabe, darauf hinzuarbeiten, dass sie sich nicht durchsetzt. Das käme einem Putsch gegen Grundüberzeugungen der FDP gleich.

Stimmt die FDP-Bundestagsfraktion geschlossen für die Ausweitung des bisherigen Rettungsschirms?

Niebel:

Wir hatten bei einer Probeabstimmung in der FDP-Fraktion zwei Neinstimmen, in der Unionsfraktion waren es 19. Diese Frage sollten Sie anderen stellen.

Wie wichtig ist die Kanzlermehrheit?

Niebel:

Wichtig ist, dass der Euro-Schutzschirm eine Mehrheit bekommt. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir die Kanzlermehrheit erreichen.

Merkel könnte es halten wie ihr Vorgänger Schröder - und die Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbinden ...

Niebel:

Das wird nicht nötig sein. Schröder hatte konfuse Grüne als Koalitionspartner, die per Losverfahren ermitteln wollten, wer für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan stimmen muss und wer dagegen stimmen darf. Das lässt sich mit der Situation der schwarz-gelben Koalition nicht vergleichen.

Sollen CDU und CSU die einzig möglichen Koalitionspartner der Liberalen bleiben?

Niebel:

Nein, grundsätzlich nicht. Jede demokratische Partei ist ein möglicher Koalitionspartner der FDP.

FDP-Vizechefin Leutheusser-Schnarrenberger denkt vor allem an die SPD ...

Niebel:

Ich fand es schade, als die funktionierende sozialliberale Koalition in Rheinland-Pfalz zu Ende gegangen ist. Wenn die inhaltlichen Schnittmengen stimmen, ist ein Bündnis mit der SPD auch auf Bundesebene möglich. Allerdings steht das derzeit nicht zur Debatte. Die schwarz-gelbe Koalition funktioniert gut, und ich bin davon überzeugt, dass die Gemeinsamkeiten von Union und FDP für eine weitere Wahlperiode reichen.

Im Augenblick sieht es eher nach Neuwahlen aus.

Niebel:

Es wird keine Neuwahlen geben, weil die Koalition erfolgreich und mit einer ausreichenden Mehrheit im Bundestag arbeitet.