SPD und Grüne legen Berichte zum Bombardement von Kundus vor. Sie weichen von bisherigen Regierungserklärungen ab.
Hamburg. Knapp zwei Jahre nach dem verheerenden Luftangriff von Kundus, bei dem bis zu 142 Afghanen ums Leben kamen, haben SPD und Grüne getrennt ihre Sondervoten zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorgelegt. Die Berichte beider Parteien werfen dem deutschen Oberst Georg Klein, der den Angriff damals angefordert hatte, dem Verteidigungsministerium sowie dem Kanzleramt vor, "eine lange Liste von Fehlern" begangen zu haben.
Um zwei Uhr am Morgen des 4. September 2009 hatten amerikanische F-15 E-Kampfflugzeuge zwei 500-Pfund-Bomben zwischen zwei von den radikalislamischen Taliban entführten Tanklastern geworfen. Die Fahrzeuge waren in einer Furt des Kundus-Flusses stecken geblieben. Klein war damals Kommandeur des örtlichen "Provincial Reconstruction Teams" (PRT) der Bundeswehr. Je nach Quellenangaben starben in dem Inferno zwischen 14 und 142 Menschen. Die Bundeswehr geht von 91 Toten aus. Die Tragödie von Kundus führte in der Folge zum Rücktritt von Verteidigungsminister Franz Josef Jung und zur Entlassung von Staatssekretär Peter Wichert sowie Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan.
Mehr als zehn Berichte sind bislang dazu vorgelegt worden - unter anderem von der Nato, von afghanischen Behörden, von deutschen Feldjägern, dem Bundesnachrichtendienst (BND), von Union und FDP. Und nun von SPD und Grünen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Susanne Kastner, sagte zum Hamburger Abendblatt: "Oberst Klein hat schwere Fehler begangen." Er hätte zum einen vor dem Angriff einen Rechtsbeistand konsultieren müssen. Zum anderen habe er es abgelehnt, dass die US-Piloten zunächst nur in einem sogenannten "Show of force"-Manöver über die Tanklaster fliegen. Bei der Aufarbeitung des Angriffs sei die Kommunikation des Verteidigungsministeriums "desaströs" gewesen, hob Kastner hervor. "Dafür Wolfgang Schneiderhan und Peter Wichert die Schuld in die Schuhe schieben zu wollen, wird der Sache nicht gerecht." Guttenberg hatte argumentiert, die beiden hätten ihn unzureichend informiert. Mit dieser Begründung zog er später seine erste Einschätzung zurück, der Angriff sei "unvermeidlich" und "angemessen" gewesen.
Die Grünen werfen Wichert und Schneiderhan hingegen vor, sie hätten "aus falsch verstandenem Gefühl" gegenüber Klein wichtige Informationen nicht weitergegeben. Der Verteidigungsexperte der Grünen, Omid Nouripour, macht aber vor allem dem damaligen Verteidigungsminister schwere Vorwürfe. "Guttenberg hat stark dazu beigetragen, dass die Ereignisse des 4. September vertuscht wurden", sagte Nouripour dem Abendblatt. Mit den Informationen aus dem damals bereits vorliegenden Hauptbericht der Nato hätte er die Lage ganz anders bewerten müssen. Oberst Klein "hätte alternativ Truppen zu dem Tanklaster schicken oder die Situation weiter observieren können. Den Fliegern der Nato hat er suggeriert, es gäbe eine Feindberührung und direkte Gefahr für das Lager der Bundeswehr".
Dagegen hatte die Berliner Koalition im Juli in ihrem Bericht dargelegt, dass Klein zwar Einsatzregeln verletzt habe - da er aber zum Schutz seiner Soldaten und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt habe, sei seine Entscheidung nachvollziehbar.
Je nach Standpunkt wirkt es, als gebe es zwei Wahrheiten zum Bombardement. Klein ist entweder eine tragische Figur, die gar nicht anders konnte, als einen furchtbaren Befehl zu geben. Oder er ist ein überforderter Offizier, der den Bruch von Einsatzregeln und den Tod von Zivilisten in Kauf nahm.
Klein hatte seit dem 15. Juli 2009 eine Warnmeldung des BND vorliegen, dass die Taliban versuchen könnten, mittels entführter Lkw eine gigantische Autobombe in das deutsche Feldlager rollen zu lassen. Als dann tatsächlich zwei Nato-Laster mit Benzin und Diesel von den Taliban unweit des PRT entführt wurden, wollte Klein diese Bedrohung sofort ausschalten. Eigene Kräfte standen ihm dafür nicht zur Verfügung, daher forderte er US-Bomber an. Kritiker des Einsatzes meinen, eine "unmittelbare Bedrohung" durch die Taliban als Voraussetzung für ein Bombardement habe nicht bestanden. Klein habe wissen müssen, dass sich an den Lastern inzwischen auch zahlreiche Zivilisten aufhielten. Dagegen meinen andere, Klein habe einer afghanischen Quelle vor Ort glauben können, nach denen es sich ausschließlich um Bewaffnete handelte. Einem Isaf-Untersuchungsteam sagten Anwohner noch am 4. September, es seien nur Taliban und Kriminelle getötet worden. Zahl und Kombattantenstatus der Todesopfer konnten nie genau ermittelt werden.
Kleins Kritiker meinen, das Bombardement sei militärisch wertlos gewesen. In einem geheimen Abschlussbericht der Bundesanwaltschaft vom April 2010 heißt es jedoch, sowohl die Vernichtung der Tanklastzüge als auch die Ausschaltung der Taliban hätten eine "nicht zu unterschätzende militärische Bedeutung" gehabt.