Kanzlerin Angela Merkel muss künftig mit neuen Gesichtern und neuen Themen arbeiten. Leicht wird das nicht
Berlin. Als hätten sie es vorausgeahnt. Nur wenige Stunden nachdem die FDP am heutigen Vormittag ihre neue Führung festlegt, wird am Abend der Koalitionsausschuss zusammentreten. Das Treffen der führenden Politiker der drei Regierungsparteien sei bereits im Laufe der letzten Woche geplant worden, hieß in Parteikreisen. Trotzdem ist das Timing perfekt. Denn der Rückzug von Guido Westerwelle aus seinem Amt als Parteivorsitzender und Vizekanzler hat Konsequenzen für die gesamte Koalition. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) muss sich auf einen neuen Stellvertreter einstellen - und gemeinsam mit CSU-Chef Horst Seehofer auf einen neuen Stil bei der Regierungszusammenarbeit mit der FDP.
Das betrifft zum einen die menschliche Ebene. Das Vertrauen bei der Trias Merkel/Seehofer/Westerwelle galt zuletzt als erschüttert, und das persönliche Verhältnis glich nach dem ersten chaotischen Regierungsjahr eher einer herzlichen Antipathie. Westerwelle redet gern viel und laut - und schlägt damit auch mal über die Stränge. Zwar ist Gesundheitsminister Philipp Rösler, der als Favorit für die Westerwelle-Nachfolge gehandelt wird, ein deutlich ruhigerer Politiker-Typus - dennoch ist die junge Garde, die das Ruder der Partei in noch unbekannter Konstellation übernehmen soll, zunächst unberechenbar für die Kanzlerin. Unvergessen ist der nordrhein-westfälische Parteichef Daniel Bahr, jetzt als Gesundheitsminister gehandelt, der der CSU, flankiert von FDP-Generalsekretär Christian Lindner, im vergangenen Sommer vorwarf, sie betreibe "Wildsau-Politik".
Den christsozialen Generalsekretär Alexander Dobrindt veranlasste das zu der Aussage, bei den Liberalen seien zwei Sicherungen durchgeknallt, "und die heißen Bahr und Lindner". Gut möglich, dass sich Merkel auch künftig auf ein ähnlich aggressives Vorpreschen der FDP einstellen muss. Erst kürzlich verkündete Lindner relativ spontan, man solle die acht alten Atomkraftwerke in Deutschland dauerhaft abschalten. Dabei wollte die Kanzlerin dies erst nach dem Atom-Moratorium entscheiden. Für Merkel heißt das aber auch: Die neue FDP-Führung ist zu einem schnellen Atomausstieg bereit. In Energiefragen kann man jetzt besser zueinanderfinden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) kann sich zudem auf weniger Ärger in Sachen Steuerpolitik einstellen. Während die Liberalen im Bundestagswahlkampf quasi monothematisch angetreten waren und mit dem Slogan "Mehr Netto vom Brutto" vor allem mit der Forderung nach Steuersenkungen geworben hatten, soll dies nun nicht mehr das Hauptthema der Liberalen sein. Geht es nach Generalsekretär Lindner, der die programmatische Neuausrichtung der FDP verantwortet, soll es künftig um Bildung gehen, um Bürgerrechte und eben Energiepolitik. Näher am Menschen lautet das Credo.
Von einer gefühlten Ein-Thema- und Ein-Mann-Partei geht es in Richtung einer Mehr-Themen- und Mehr-Männer-Partei. Merkel könnte dazu auch noch eine Kabinettsumbildung ins Haus stehen - dabei ist der Abgang von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erst einen Monat her. Es ist jedoch bekannt, dass Rösler lieber Wirtschaftsminister wäre - und das geht nur, wenn Amtsinhaber Rainer Brüderle (FDP) von seinem Posten weicht. Eine Sprecherin betonte jedoch, er übe sein Amt weiterhin "mit Freude und großem Engagement" aus. Auch die Diskussion darüber, ob Westerwelle sein Außenamt behalten soll, stellt die Konstanz auf der Regierungsbank auf tönerne Füße. Noch einige Debatten werden auf die Kanzlerin zukommen. Schon heute Abend geht es los.