Brüderle und Röttgen halten an dem umstrittenen Biokraftstoff fest. Kritik kommt weiter von Umweltschützern und Umweltparteien.
Berlin. Trotz der Verunsicherung bei Millionen Autofahrern hält die Bundesregierung am umstrittenen Biosprit E10 fest. Zugleich soll aber die Information über das Super-Benzin mit zehn Prozent Ethanol rasch verbessert werden. Das teilten Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) am Dienstag nach dem „Benzin-Gipfel“ in Berlin mit.
Das Ergebnis des Biosprit-Gipfels hat erwartungsgemäß ein geteiltes Echo hervorgerufen. Umweltschützer und -parteien blieben auch nach dem Treffen bei ihrer Kritik. Die Wirtschaft zeigte sich weitgehend zufrieden.
Nach den Worten von SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber ist „der sogenannte Benzingipfel gescheitert. Regierung, Mineralölkonzerne und Automobilhersteller lassen die Verbraucher weiter im Stich“. Die SPD wolle „das Desaster bei E10“ kommende Woche im Bundestag zum Thema machen.
Grünen-Chef Cem Özdemir beklagte: „Die Bundesregierung hat aus dem Desaster bei der Einführung von E10 offensichtlich nichts gelernt. (Umweltminister) Norbert Röttgen täuscht sich. E10 ist nicht der heilige Gral des Automobilverkehrs in Zeiten des Klimawandels und steigender Ölpreise. Die bessere Strategie wäre, auf verbrauchsarme Autos, Elektromobilität, Tempolimit und öffentlichen Nahverkehr zu setzen.“
Die Vorsitzende der Partei Die Linke, Gesine Lötzsch, warf der Bundesregierung vor, sich als „Lobby der Mineralöl- und Autoindustrie und nicht der Verbraucher“ zu verstehen. Die Lebensmittelpreise stiegen weltweit „dramatisch an, weil immer mehr Agrarkonzerne ihre Ackerflächen nicht mehr für die Lebensmittelproduktion, sondern für die Herstellung von Biosprit nutzen“.
FDP-Verbraucherpolitiker Erik Schweickert warf der Mineralölbranche vor, den herkömmlichen Sprit künstlich verteuert zu haben: „Da hat schon der eine oder andere von den Mineralölgesellschaften versucht, sich eine goldene Nase zu verdienen.“
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) verlangte die sofortige Aussetzung der Einführung von E10. Die Alternative sei „eine konsequente Klimaschutzpolitik im Verkehrssektor verbunden mit ambitionierten Spritspar-Zielen in der Europäischen Union“.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) bezeichnete den Ausgang des Treffens als für Verbraucher „praktisch ergebnislos“. Der vzbv hatte eine erweiterte Garantieerklärung der Hersteller sowie eine direkte Information des Kraftfahrt-Bundesamtes an die Fahrzeugbesitzer gefordert.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hält es dagegen für richtig, „dass die Bundesregierung bei der zunehmenden Nutzung von Biokraftstoffen im Verkehrssektor bleiben will. Nachhaltig produzierte Biokraftstoffe sind zur Zeit die einzige Alternative zum Erdöl, die in größerem Maßstab zur Verfügung steht“.
Der Automobilclub ADAC, der an dem Treffen von Regierung, Verbänden und Wirtschaft teilnahm, begrüßte das generelle Festhalten an E10. Aber: „Wir müssen ... zeigen, dass Politik, Industrie und Ölkonzerne ohne Einschränkung hinter dem neuen Kraftstoff stehen.“ Außerdem müsse der Autofahrer die Wahl haben, ob er E10 oder weiter Super E5 tanken wolle.
Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) warnte vor Panikmache wegen E10. Über 90 Prozent aller Pkw mit Ottomotoren könnten problemlos den E10-Kraftstoff tanken. Autohäuser und Kfz-Werkstätten seien die geeigneten Ansprechpartner für Autofahrer, die sich nicht sicher seien, ob ihr Fahrzeug E10-geeignet sei.
Der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) will die Beschlüsse des Gipfels aktiv umzusetzen. Der Verband weist darauf hin, dass verbindliche Aussagen zur E10-Eignung der internationalen Hersteller bereits seit November 2010 unter anderem über die DAT-Verträglichkeitsliste zur Verfügung stünden.
Der Deutsche Bauernverband unterstrich: „Die Einführung von E10 ist wichtig und richtig.“
Mineralölindustrie soll verantwortlich für das „Kommunikationschaos“ sein
Die Bundesregierung hat die Mineralölindustrie unterdessen für die weitere Einführung des E10-Benzins in die Verantwortung genommen. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) machte sie am Dienstag vor dem Benzin-Gipfel im Wirtschaftsministerium für das „Kommunikationschaos“ verantwortlich, das die Autofahrer massenhaft davon abhält, den neuen Sprit mit zehn Prozent Ethanolbeimischung zu tanken.
Nun müsse Klarheit an der Tankstelle geschaffen werden, sagte Röttgen. Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) pflichtete ihm bei: „Letztlich geht es um Information.“ Industrie und Autohersteller müssten das leisten, sagte sie. Ferner müsse die Frage der Rechtssicherheit auf dem Gipfel geklärt werden. Die Aussagen der Autohersteller zur Unbedenklichkeit der Verwendung von E10 müssten rechtsverbindlich sein, verlangte Aigner. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sprach von einer „Atempause“, bekannte sich aber grundsätzlich zur Einführung von E10-Sprit.
VERTRÄGT MEIN AUTO DEN BIOSPRIT?
DAT-Liste ist rechtsverbindlich
Die Automobilindustrie hat zugleich darauf hingewiesen, dass die sogenannte DAT-Liste über die E10-verträglichen Fahrzeuge rechtsverbindlich sei. Diese Liste sei unter anderem über Hersteller-Hotlines abrufbar, sagte der Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie, Klaus Bräunig, am Dienstag in Berlin nach einem Treffen von Bundesregierung, Verbänden und Wirtschaft zum Biosprit-Durcheinander der vergangenen Tage. Darüber hinausgehende Angaben zu den Garantien der Autoindustrie beim Tanken von E10 machte er nicht.
FDP will Autofahrer finanziell entlasten
Die FDP schlägt eine Entlastung der Autofahrer vor, weil mit der Einführung des Biosprits E10 die Benzinkosten steigen. „Das Ende vom Lied darf nicht sein, dass sich der Staat auf Kosten der Autofahrer die Taschen vollmacht“, sagte FDP-Vizefraktionschef Patrick Döring der „Bild“-Zeitung (Dienstagausgabe). „Kommt es wegen E10 zu mehr Steuereinnahmen für den Staat, müssen Autofahrer in gleicher Höhe entlastet werden.“
Nach Angaben von Experten sind die Preise für Super- und Super-Plus-Kraftstoff nach Einführung der neuen Sorte E10 gestiegen. Daraus ergeben sich für den Fiskus Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat für Dienstagmittag zu einem Benzin-Gipfel eingeladen, um über die Schwierigkeiten bei der Einführung von E10 zu sprechen.
Warum wird E10 angeboten?
Mit E10 setzt die Bundesregierung eine EU-Vorgabe um. Diese sieht vor, dass fortan 6,25 Prozent (nach Energiegehalt) des verkauften Kraftstoffs Biosprit sein müssen. Das soll den Kohlendioxid-Ausstoß senken. Um die Quote zu erreichen, haben Raffinerien den Anteil von Bioethanol im Superbenzin von fünf auf zehn Prozent (des Volumens) verdoppelt.
Gibt es andere Möglichkeiten, die Quote einzuhalten?
Das Gesetz erlaubt es, die Quote auch durch den Verkauf von reinem Biokraftstoff zu erfüllen, wie ihn landwirtschaftliche Fahrzeuge tanken. Es sei gängige Praxis, dass die Mineralölwirtschaft den Biodiesel in großen Mengen auf die Quote anrechnen ließe, erklärt der Verband der Deutschen Biokraftstoff-Industrie. Der Mineralölwirtschaftsverband hingegen zweifelt daran, dass sich genügend reiner Biosprit absetzen lässt, um die Quote zu erfüllen.
Welche Risiken gehen von E10 aus?
90 Prozent der Autos mit Benzinmotor können "ohne Einschränkungen" E10 tanken. Über vier Millionen der in Deutschland zugelassenen Autos vertragen den Sprit jedoch nicht. Laut ADAC kann E10 aggressiv mit Metall- und Kunststoffteilen reagieren.
Welche Alternativen zu E10 gibt es?
Es gibt weiterhin Superbenzin mit fünf Prozent Bioethanol. Allerdings bieten die Tankstellen dieses in der Regel nur in Form von teurerem Super Plus an.
Wie viel kostet der neue Sprit?
Die Tankstellen verkaufen den E10-Kraftstoff in der Regeln zum Preis des herkömmlichen Superbenzins. Da der Sprit mit fünf Prozent Ethanol dann nur noch als Super Plus erhältlich ist, ist dieser bedeutend teurer als E10. Laut ADAC beträgt die Differenz zwischen den beiden Sorten im Schnitt acht Cent pro Liter. In Hamburg noch nicht.
Ist der Spritverbrauch bei E10 höher?
Der Verbrauch steigt Berechnungen zufolge im Vergleich zum alten Superbenzin um knapp zwei Prozent. Grund ist der geringere Energiegehalt von Alkohol im Vergleich zu Benzin.
Wo kann ich mich informieren?
Informationen zur Verträglichkeit von Autos gibt es bei Händlern und Herstellern sowie bei der Deutschen Automobil Treuhand.
(AFP/dapd/dpa/abendblatt.de)