Greenpeace: “Boykott der Autofahrer ist richtig.“ Macht E10 auch Lebensmittel teurer?
Berlin/Hamburg. Der Widerstand gegen den umstrittenen neuen Biokraftstoff Super E10 wird immer stärker. Inzwischen gibt es auch aus den Regierungsparteien zahlreiche Rufe nach einem sofortigen Stopp der Einführung. Der Vorsitzende der CSU-Gruppe im EU-Parlament, Markus Ferber, sagte: "E10 wieder abzuschaffen wäre die effektivste Klimapolitik für Mensch, Fahrzeug und Umwelt." Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) forderte eine "Denkpause". Am Donnerstag hatte die Mineralölindustrie die Produktion des Kraftstoffs gedrosselt, weil Millionen deutsche Autofahrer ihn an den Tankstellen in Süd- und Westdeutschland boykottieren. In Hamburg soll E10 Ende März eingeführt werden.
Auch mehrere deutsche Umweltverbände schlossen sich am Freitag der Forderung nach einer Abschaffung an. Greenpeace-Autoexperte Wolfgang Lohbeck sagte: "Aus welchen Gründen auch immer die Autofahrer E10 meiden - sie tun auf jeden Fall das Richtige. Die Biokraftstoffrichtlinie sollte zurückgezogen werden." Der ohnehin "kaum vorhandene" Klima-Nutzen werde aufgehoben durch die mangelnde Effizienz: Mit üblichem Superbenzin führen Autos weiter als mit Biosprit. Wenn man dann noch die Umstellung der Landwirtschaft berücksichtige - in Entwicklungsländern müssten Wälder gerodet werden, um die Rohstoffe anzubauen - sei die Klimabilanz von E10 sogar negativ. Ähnlich argumentierte der Vorsitzende des Umweltverbands BUND, Hubert Weiger: "Mit dem Anbau von Energiepflanzen versucht man, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, statt Klimaschutz zu praktizieren." Auch das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor verlangt den Stopp von E10. Durch die steigende Nachfrage nach Agrosprit komme es in den Entwicklungsländern verstärkt zu einer Verminderung der Anbauflächen für Grundnahrungsmittel.
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) lud für Dienstag zu einem Gipfel nach Berlin ein, um mit der Mineralölwirtschaft über Wege aus dem Benzin-Chaos zu beraten. Angeblich verknappen sich bereits einige Treibstoffsorten, weil die Tanklager mit unverkäuflichem Biosprit gefüllt sind. Auch die Preissteigerungen an den Zapfsäulen werden zum Teil darauf zurückgeführt. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) gab den Ölkonzernen die Schuld an dem Flop. Viele Autofahrer seien unsicher, ob ihr Auto mit dem neuen Treibstoff, der etwas billiger ist als gewöhnliches Superbenzin, auch ohne Probleme fahren könne. "Die Industrie hat sich nicht genügend an der Aufklärung beteiligt", sagte Röttgens Sprecherin. Fast alle Autos aus deutscher Produktion seien für E10 geeignet.
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner nannte den Boykott der Autofahrer ein "Fiasko". Die Bauern erzeugen die Grundstoffe des Ethanols, das zu zehn Prozent im Sprit E10 beigefügt ist und ihm den Namen gab. Die Landwirte gelten deshalb als Nutznießer der E10-Einführung.
Die deutsche Nahrungsmittelindustrie warnte dagegen am Freitag vor steigenden Lebensmittelpreisen wegen der E10-Einführung. Dank der staatlichen Subventionen sei es für viele Bauern inzwischen attraktiver, Weizen, Mais oder Zuckerrüben an Biokraftstoff-Hersteller zu verkaufen. Zwangsläufig steigende Preise erwartet auch der Hamburger Feinkosthersteller Carl Kühne: "Alkohol, den wir für die Herstellung von Essig benötigen, ist deutlich teurer geworden", sagte Kühne-Chef Andreas Schubert der Onlineausgabe des "manager magazins". Das liege vor allem daran, dass Alkohol dem Benzin beigemischt werde. "Plötzlich ist Zucker, der als Ausgangsprodukt für Alkohol immer billig war, ein teurer Rohstoff geworden. Die Entwicklung ist aber auch beim Öl für Dressings und Mayonnaise deutlich erkennbar."