Der Aufstieg von Karl-Theodor zu Guttenberg war wie ein Märchen. Ein Märchen, das viele im Land nur allzu gerne geglaubt haben.
Es ist dieses Lied, das gespielt wurde, wenn er in die Bierzelte und Wahlkampfarenen einzog. "Hells Bells" der australischen Hardrock-Band AC/DC. Höllenglocken. "Ich bin ein rollender Donner, ein gießender Regen. Ich rausche an wie ein Hurrikan", heißt es in dem Lied. Und: "Keiner legt sich mit mir an." Die Leute haben gejubelt, wenn dieses Lied gespielt wurde, seine Erkennungsmelodie.
Jetzt sind der rollende Donner und der gießende Regen über Karl-Theodor zu Guttenberg niedergegangen. Der Hurrikan hat ihn mitgerissen. Karl-Theodor zu Guttenberg verlässt - zumindest vorerst - die große Bühne. Die Höllenglocken klingen.
+++ Guttenbergs Rücktritsserklärung zum Nachlesen +++
Was ist echt an diesem Mann? Es ist der Eindruck entstanden, dass Politik, Gesellschaft und Medien ihm eine Rolle gegeben haben, aus der er nur durch einen Rücktritt herauskommen konnte. Zu groß waren die Erwartungen.
Dieser Mann hat Deutschland verzaubert: Da kommt ein Adliger, der im fränkischen Ritterschloss aufgewachsen ist, in die Politik. Der Baron hat eine schöne Frau. Er hat es nicht nötig zu arbeiten. Auf Schloss Guttenberg warten ein Diener, ein Stallmeister, eine Hausdame, zwei Köchinnen, zwei Haushälterinnen, Chauffeur und Gärtner, im Schlosshof stehen Kanonen aus dem 19. Jahrhundert. Karl-Theodor zu Guttenberg kann, wenn er an die Stelle seines Vaters tritt, als Patronatsherr den Pfarrer seiner Gemeinde ernennen.
Von so einem lässt man sich gerne führen. Von einem Adligen, der sich von Tugenden wie Anstand und Mut leiten lässt und sich dem Volk verpflichtet fühlt. Von einem fast außerparlamentarischen Baron.
2002 zieht Karl-Theodor zu Guttenberg für die CSU in den Bundestag ein. Bis zum Herbst 2008 arbeitet er als Außenpolitiker, er gilt als Nachwuchs-Hoffnung. Dann gerät seine Partei in Not: Edmund Stoiber wird 2007 als Ministerpräsident geschasst, nur ein Jahr später verliert die CSU bei den Landtagswahlen die absolute Mehrheit. Horst Seehofer, der jetzt das Sagen bei den Christsozialen hat, braucht einen Generalsekretär. Die Wahl fällt auf Guttenberg, den Unverbrauchten. 100 Tage später hievt Seehofer ihn noch weiter hoch: Guttenberg wird mit 37 Jahren der jüngste Wirtschaftsminister der Geschichte. Das Vakuum in der CSU ist der Grundstein seiner Karriere.
Guttenberg ist kaum vereidigt, da wird sein Lebenslauf zum ersten Mal kritisch unter die Lupe genommen. Es geht um seine Wirtschaftskompetenz. So gibt der junge Minister an, er habe über Jahre hinweg im familieneigenen Unternehmen gearbeitet. Es kommt heraus, dass das Unternehmen nur wenig Umsatz machte und aus drei Beschäftigten bestand. Auch Guttenbergs Tätigkeit als Aufsichtsrat soll nur auf dem Papier bestanden haben.
Doch die Republik hat in dieser Zeit andere Probleme. Deutschland steckt in der Wirtschaftskrise. Es geht um die Frage, ob der Autobauer Opel mit Milliarden Steuergeldern gerettet werden soll. Guttenberg sagt im Gegensatz zu seinen Kabinettskollegen Nein - und spricht vielen Steuerzahlern aus dem Herzen. Mehr noch: Guttenberg, erst wenige Wochen im Amt, bietet seinen Rücktritt an. Bundeskanzlerin Merkel lehnt ab. Und plötzlich ist Guttenberg der Held. Einer, der offen ausspricht, was viele denken. Einer, der unabhängig ist und sich jederzeit auf sein Schloss zurückziehen kann. Der Streit um die Opel-Rettung ist die Geburtsstunde der Märchengestalt Guttenberg. Viele Deutsche glauben, dass Politiker sowieso nichts bewirken und nur an Posten, Diäten und Renten interessiert sind. Guttenberg profitiert von der Politikverdrossenheit.
Er tritt in Bierzelten auf - und die Leute jubeln ihm zu. Dabei haben alle seine Reden das gleiche Muster. Zu Beginn lässt er sich dafür feiern, dass er sein Redemanuskript beiseite legt und ankündigt, er wolle jetzt sein Herz sprechen lassen. Weitere Teile aus seinem Rhetorik-Baukasten: "Ich lasse mir verdammt noch mal den Mund nicht verbieten" - "Man sollte authentisch bleiben" - "Ich werde mir den Optimismus nicht ausreden lassen". Das kommt an. Überall. Er gibt sich als einer, der nicht zum Berliner Politikbetrieb dazugehört. Und da zu den markigen Worten auch gute Bilder gehören, liefert er auch diese: Auf dem New Yorker Times Square breitet er weltmännisch die Arme aus, damals steckt Deutschland noch tief in der Krise. Und viele prophezeien, dass ihm diese großspurige Pose noch leidtun wird.
Guttenberg - das ist eine neue Optik in der Politik, ein neuer Stil. Ein viertel Jahr nach seinem Amtsantritt belegt er nach Merkel den zweiten Platz in der Beliebtheitsskala. Bald wird er sie überholen. Und das, obwohl oder gerade weil er nur kurz als Wirtschaftsminister im Amt ist und seine Arbeit nicht bewertet werden kann. Sein Nein zu Opel hat nichts bewirkt, der Konzern wurde trotzdem vom Staat gerettet.
Nach dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb wechselt Guttenberg ins Verteidigungsministerium. Sein zweites Ministeramt beginnt er mit einer Erblast. Am 4. September 2009 greifen auf Befehl eines deutschen Offiziers amerikanische Kampfbomber zwei gestohlene Tanklastwagen in Afghanistan an und töten bis zu 142 Menschen, darunter zahlreiche Zivilisten. Obwohl Guttenberg zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Amt war, muss er aufklären.
Doch der Einstand gelingt nicht recht: Voreilig verkündet er, der Angriff sei militärisch angemessen gewesen. Er versucht sich als schneller Entscheider und Patron seiner Soldaten zu profilieren. Später jedoch muss er diese Aussage revidieren. Er entlässt einen Staatssekretär und den Generalinspekteur.
Guttenberg scheint der perfekte Nachfolger für den blassen Jung zu sein: jung, viril und gedient. Er beherrscht den schneidigen Ton, in dem Offiziere mit ihren Untergebenen sprechen, und er scheint ehrgeizig genug, um die Bundeswehrreform durchzupeitschen. Sie ist seine Chance, ein Meisterstück abzulegen. Er verkündet, dass man auch eines der Heiligtümer der deutschen Politik, die Wehrpflicht, überdenken müsse. Er pokert hoch. Vor wenigen Monaten hatte er sich noch zur Wehrpflicht bekannt.
Diese Unverfrorenheit beeindruckt. Es scheint fast so, als ob er sich aussuchen könnte, was er zuerst wird: CSU-Vorsitzender, bayerischer Ministerpräsident - oder gleich Kanzler. Guttenberg nennt solche Spekulationen barsch einen "völligen Scheiß". Dieses demonstrative Desinteresse ist Teil der Marke Guttenberg. "Man muss immer wieder darauf achten, dass man von diesem Geschäft nicht abhängig wird", betont er gegenüber dem Abendblatt. "Ich kann mir durchaus ein Leben außerhalb der Politik vorstellen. Damit muss ich in der Politik schließlich jeden Tag rechnen." Zu sagen, dass er an seinem Job hängt, wie er es Monate später bei seiner Rücktrittserklärung tun wird, würde das Bild des Unabhängigen stören.
Zugute kommt Guttenberg wieder sein rhetorisches Talent. Seine Trauerreden für gefallene Soldaten sind einfühlsam. Die Macht des Bildes versteht Guttenberg mit einem fast schon chamäleonhaften Instinkt auch bei der Bundeswehr zu nutzen. Bei seinen Truppenbesuchen in Afghanistan trägt er Helm, Splitterschutz und Sonnenbrille so lässig, als gehörten sie zu seiner täglichen Garderobe.
Für gute Bilder taugt auch seine Frau, die ihm von Anbeginn seiner politischen Karriere zusätzlichen Glamour verleiht. Stephanie zu Guttenberg jagt im Privatfernsehen Kinderschänder und brilliert bei "Wer wird Millionär". Er kümmert sich um die harten Themen, sie ergänzt das Bild, indem sie ihn an die Front in Afghanistan begleitet und Gespräche mit Soldatinnen führt, von Frau zu Frau. "Die Guttenbergs - sie sind mächtig und sexy" titelt die "Bunte", und auch der "Spiegel" ist noch voller Bewunderung: "Die fabelhaften Guttenbergs".
Ende 2010 gelingt ihm die Sensation: Die Union stimmt nach langen Diskussionen der Aussetzung der Wehrpflicht zu. Der beliebteste deutsche Politiker hat auch diese Hürde genommen. Doch dann wendet sich das Blatt innerhalb weniger Tage. Ein tödlicher Waffenunfall in Afghanistan entpuppt sich als ein Fall von Waffenspielerei, und eine Kadettin verunglückt auf der "Gorch Fock". Ähnlich wie bei der Kundus-Affäre zieht Guttenberg kurzerhand den Kapitän ab - und erweckt den Eindruck, den Mann dem medialen Druck geopfert zu haben.
Nun gerät auch seine Reform unter Beschuss: Das Kabinett erhöht den Spardruck, das Kanzleramt moniert seine Reformpläne. Er wirkt dünnhäutiger, angespannter.
Vielleicht hängt es auch mit diesem Druck zusammen, dass er auf die ersten Plagiatsvorwürfe mehr als brüsk reagiert und sie als "abstrus" abtut. Vielleicht hat er in diesem Moment geglaubt, dass ihm die Vorwürfe nichts anhaben können. Ihm, dem beliebtesten Politiker der Republik. Noch einmal betont er seine Andersartigkeit auf einer Wahlkampfveranstaltung in Hessen. Ja, er habe wohl Fehler gemacht, "aber ich stehe auch zu dem Blödsinn, den ich geschrieben habe". Donnernder Applaus.
Doch die Stimmung kippt: Jura-Professoren sprechen von Vorsatz und Betrug. In der Union reift die Erkenntnis, dass ein Festhalten an dem Politstar auch negative Konsequenzen haben könnte. Gerade bei vielen Akademikern droht die Union an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Auf die wahre Leistung, scheint es, kommt es unter Politikern weniger an, als auf den Beliebtheitswert. Gleichzeitig lässt Guttenbergs Streben nach einem Doktortitel staunen. War der reiche Adelige doch nicht so unabhängig von der Meinung Dritter, wie er immer behauptet hat?
Es wird weitergehen mit ihm - er wird vielleicht ein Buch schreiben, Vorträge halten, in die Wirtschaft gehen. Und nach einer Zeit der Buße zurückkommen oder auch nicht.
Guttenberg muss gespürt haben, dass der Schwung, der ihn bislang vorangetrieben hat, die Fähigkeit, die Erwartungen seiner Umgebung zu wecken, nachlässt. Am Tag seines Rücktritts erklärt er, er habe nun "die Grenzen meiner Kräfte erreicht", seine Stimme zittert. Er wendet sich schnell ab und geht. Unwillkürlich spüren die Betrachter Mitleid und fragen sich doch, ob sie gerade wieder Zeugen einer Inszenierung wurden.
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