Nach kontroverser Debatte wurde beschlossen, Atomkraftwerke länger am Netz zu lassen. Auch aus den eigenen Reihen kamen Abweichler.
Berlin. Mit ihrer Mehrheit im Bundestag hat die schwarz-gelbe Koalition am Donnerstag zentrale Reformprojekte auf den Weg gebracht. Nach mehr als sechsstündiger Debatte beschlossen Union und FDP gegen den entschiedenen Widerstand der Opposition die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke . Zudem verabschiedete die Regierungsmehrheit das milliardenschwere Spar- und Steuererhöhungspaket und schärfere Richtlinien für Banken.
Durch die Laufzeitverlängerung sollen Atomkraftwerke künftig im Schnitt zwölf Jahre länger am Netz bleiben. Das Energiekonzept sieht zudem den verstärkten Ausbau des Ökostroms vor. 2050 sollen Erneuerbare Energien einen Anteil von 80 Prozent an der gesamten erzeugten Energiemenge erreichen. Der Ausbau soll durch Abgaben der AKW-Betreiber für einen Öko-Fonds mitfinanziert werden, den der Bundestag ebenfalls beschloss. Die Konzerne Vattenfall, RWE, E.ON und EnBW müssen bis 2016 jährlich eine Kernbrennstoffsteuer von 2,3 Milliarden Euro zahlen. Beschlossen wurden außerdem neue Sicherheitsstandards für die Meiler.
+++ Was bedeutet die Laufzeitverlängerung? +++
Die Opposition im Bundestag, die in der rot-grünen Regierung vor zehn Jahren den Atomausstieg bis 2021 durchsetzte, kritisierte die Pläne scharf. Sie warnt vor den Gefahren der Technik und davor, dass der billige Atomstrom den Ausbau erneuerbarer Energien verzögert.
Die früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) zeigten sich sicher, dass sie den Beschluss aushebeln können. „Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen“, sagte Gabriel. Grünen-Fraktionschef Trittin kritisierte, die Koalition habe Minderheitsrechte ignoriert und wolle auch den Bundesrat nicht beteiligen. „Sie brechen die Verfassung und sie spalten die Gesellschaft“, sagte Trittin.
Die SPD-geführten Länder Berlin, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kündigten umgehend eigene Verfassungsklagen an. Wegen Missachtung der Länderinteressen sei ein Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht unausweichlich geworden, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD) äußerten sich ähnlich. Auch Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack (Linke) nannte die Laufzeitverlängerung eine „energiepolitische Fehlentscheidung“.
Widerstand kommt darüber hinaus von etlichen Kommunen. Vertreter von Stadtwerken kündigten eine Kartellbeschwerde bei der EU-Kommission an. Wie der Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch Hall, Johannes van Bergen, mitteilte, wollten sich an der Beschwerde „mehr als 100 Stadtwerke beteiligen“. Das Energiekonzept bedeute für die Regionalversorger eine schwere Wettbewerbsverzerrung. Mit einer gemeinsamen Anzeige in fünf großen Tageszeitungen verliehen die Stadtwerke ihrem Anliegen Ausdruck.
Kontrovers verlief auch die Debatte über das Haushaltsbegleitgesetz, das sogenannte Sparpaket. Die beschlossenen Maßnahmen umfassen rund 20 Milliarden Euro, mit denen der Bundeshaushalt in den kommenden vier Jahren entlastet werden soll. Finanziert wird dies durch Einschnitte bei Elterngeld und Zuschüssen zu Hartz-IV-Leistungen, durch die neue Flugticket-Steuer und durch Erhöhungen der Tabaksteuer. Auch die Industrie muss Einschnitte hinnehmen, vor allem über die Verringerung von Subventionen bei der Ökosteuer.
+++ Gewinner und Verlierer des Sparpakets +++
Banken müssen für künftige Krisen selbst vorsorgen. Der Bundestag beschloss am Donnerstag mit den Stimmen der schwarz-gelben Regierungskoalition ein Gesetz, wonach Banken jährlich einen Teil ihres Gewinnes in einen Fonds einzahlen müssen, mit dem sie im Krisenfall vor dem Kollaps bewahrt werden können. Zudem ist ein fester Mechanismus geplant, mit dem der Staat im Krisenfall die Kontrolle wichtiger Banken übernehmen kann. Außerdem dürfen künftig alle Mitarbeiter von Banken, die staatlich gestützt werden, maximal 500.000 Euro im Jahr verdienen.
Nach den Plänen der Regierung hat der Staat künftig das Recht, systemrelevante Teile von Banken abzuspalten und unter staatliche Kontrolle zu stellen. Systemrelevant sind Bankteile, deren Pleite das weltweit vernetzte Finanzsystem ins Wanken bringen könnten. Diese Teile sollen dann mit den Mitteln aus dem neu einzurichtenden Fonds saniert oder zumindest so abgewickelt werden, dass nicht andere Institute oder gar Staaten mit in die Pleite gerissen werden.
Als Zielgröße für den Fonds wurden 70 Milliarden Euro festgeschrieben. Die Bundesregierung erwartet, dass die Banken in guten Jahren knapp 1,5 Milliarden Euro in den Fonds einzahlen. Die Opposition kritisierte, dass es womöglich Jahrzehnte dauern werde, bis die angepeilte Zielgröße des Fonds erreicht ist.