Eine historische Wahl, sagte ihr Vorgänger Jens Böhrnsen: „Die gesellschaftliche Normalität erreicht ein weiteres Verfassungsorgan.“
Berlin. Sie steht „nur“ einer Minderheitsregierung vor und schaffte doch, was der früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis verwehrt blieb. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ist zur neuen Bundesratspräsidentin gewählt worden. Die Länderkammer stimmte dem Vorschlag einstimmig zu. Damit steht erstmals eine Frau an der Spitze der Länderkammer. Kraft übernimmt das Amt zum 1. November von Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), der zum letzten Mal die Sitzung leitete.
Als Bundesratspräsidentin vertritt sie auch den Bundespräsidenten an der Spitze des Staates. So hatte nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler in diesem Jahr Böhrnsen vorübergehend die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten geführt. Das Grundgesetz schreibt vor, dass der Bundesrat seine Präsidenten für ein Jahr wählt. Nach einer Vereinbarung der Ministerpräsidenten aus dem Jahr 1950 wechseln sie sich dabei in einer festen Reihenfolge ab: Beginnend mit dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wird das Amt jeweils an das nächst kleinere Land weitergereicht. Durch dieses Verfahren wollte man die Wahl von politischen Erwägungen freihalten und das Amt dem Streit der Länder und Parteien entziehen.
Heide Simonis hatte zwar dem Bundesrat angehört, war aber in ihrer Regierungszeit nicht auf den Präsidentenstuhl gerückt. Zu Krafts Stellvertretern wählte der Bundesrat turnusgemäß Böhrnsen und ihren Nachfolger in dem Amt in einem Jahr, Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU). Die Amtszeit des alten Präsidiums endet am 31. Oktober 2010.
Böhrnsen sagte, die Wahl von Kraft sei „durchaus historisch“ zu nennen. „Die gesellschaftliche Normalität erreicht ein weiteres Verfassungsorgan.“ In seinem Rückblick hob der scheidende Bundesratspräsident hervor, Bund und Länder hätten die Finanz- und Wirtschaftskrise gut gemeistert. Bei der für die Zukunft des Landes so wichtigen Bildung sei dies aber leider nicht gelungen. „Hier bleibt noch viel zu tun“, sagte Böhrnsen. Auch die finanziellen Rahmenbedingungen von Kommunen und Ländern müssten verbessert werden.
Böhrnsen sprach sich für „früheste Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund“ und kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen zumindest für arme Kinder aus. Dies seien „keine Wohltaten eines spendierfreudigen Staates“, sondern „das notwendige Fundament, um die zentralen Zukunftsthemen zu gestalten“. Mit Blick auf das von der Bundesregierung geplante Bildungspaket für Kinder von Hartz-IV-Empfängern sagte Böhrnsen, „auch der Bund sollte die Möglichkeit erhalten, in Bildungsfragen hilfreich zu sein“.