Gewerkschaften und Unionspolitiker sprechen von Einmischung in die Tarifautonomie. Ministerpräsident Sellering für höhere Löhne.
Berlin/Schwerin. Die Empfehlung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) für deutlich höhere Löhne hat eine Diskussion über die Tarifautonomie entfacht. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes Michael Sommer und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warnten die Politik vor einer Einmischung in das Tarifgeschehen. Kritik kam auch von Unions-Wirtschaftspolitikern. Unterstützung erhielt der Minister von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD).
DGB-Chef Sommer sagte dem RBB, Lohnerhöhungen machten die Gewerkschaften immer noch selber mit den Arbeitgebern aus. "Die Politik war immer gut beraten, dass sie sich da raushält." Es sei jedoch in Ordnung, wenn die Liberalen merkten, dass es mit Maßhalten und Sparappellen nicht weitergehe, sondern auch eine Steigerung der Massenkaufkraft zur Ankurbelung der Wirtschaft notwendig sei.
Wirtschaftsminister Brüderle hatte zuvor dem Abendblatt gesagt: "Wenn die Wirtschaft boomt, sind auch kräftige Lohnerhöhungen möglich." Brüderle hatte zwar einerseits betont, die Höhe liege allein in der Entscheidung der Tarifpartner. Gleichwohl hatte er deutlich gemacht: "Die Krise ist vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, neue Prioritäten zu setzen. Wir müssen Arbeitsplätze in Deutschland attraktiv halten." Als Vorbild für künftige Tarifabschlüsse hatte der Wirtschaftsminister die Stahlindustrie genannt: 85 000 Beschäftigte dieser Branche in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen bekommen von diesem Monat an 3,6 Prozent mehr Gehalt. Der Abschluss in der Stahlbranche habe gezeigt, dass ein fairer Ausgleich möglich sei, an dem sich vielleicht andere Branchen orientieren könnten, so Brüderle.
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Arbeitgeberpräsident Hundt kritisierte diesen Vorschlag. Das Tarifergebnis für die Stahlindustrie könne "auf keinen Fall" Maßstab für andere Bereiche sein, sagte Hundt. Die Unternehmen der meisten Branchen erlebten zwar derzeit einen erfreulichen wirtschaftlichen Aufschwung, es seien jedoch noch lange nicht alle Folgen der Krise überwunden. Zudem reichten die Tarifverträge zahlreicher Branchen noch bis ins Jahr 2011 und sogar bis 2012. Nur wenn der "erfolgreiche Kurs der moderaten und differenzierten Tarifpolitik" fortgesetzt werde, könne das Wirtschaftswachstum stabilisiert und weiter Beschäftigung aufgebaut werden, sagte der Arbeitgeberpräsident weiter. Dagegen sprach sich Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering (SPD) wie Brüderle für höhere Löhne aus. Die Unternehmen müssten Vorsorge treffen, damit sie ihre Fachkräfte nicht verlieren, sagte Sellering dem Abendblatt. Ein wichtiger Faktor seien vernünftige Löhne. "Wenn die Wirtschaft wächst, sind Lohnsteigerungen möglich", so der Ministerpräsident.
"Höhere Löhne sind für Mecklenburg-Vorpommern ein besonderes Thema", betonte Sellering. "Wir haben die niedrigsten Löhne in ganz Deutschland - obwohl sich viele unserer Firmen gut entwickelt haben und am Weltmarkt teilnehmen."
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Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats Kurt Lauk äußerte sich kritisch. "Es ist ganz klar, dass die Tarifparteien nicht von außen Ermahnungen oder Empfehlungen erhalten sollten", sagte Lauk dem Abendblatt. "Die Tarifpartner sind in den vergangenen Jahren sehr sauber und fair miteinander umgegangen. Das wird auch weiterhin so sein" Es sei zwar richtig, dass man alles tun müsse, um die Inlandsnachfrage zu fördern. "Aber Steuererleichterungen und der Abbau der kalten Progression haben derzeit eine höhere Priorität, damit mögliche Lohnerhöhungen nicht durch einen höheren Steuersatz wieder aufgezehrt werden", betonte Lauk. Es sei Mode geworden in dieser Republik, "Wohltaten zu verteilen". Aber das sei keine Ordnungspolitik.
Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs warf Brüderle eine unzulässige Einmischung vor. Es gebe Tarifpartner, die einen sehr viel besseren Überblick über die Lage in den verschiedenen Branchen hätten, sagte Fuchs.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte dem "Tagesspiegel", Brüderle habe "sein neues Abstauberthema" entdeckt. Der liberale Politiker unterstütze zwar die Arbeitnehmer bei der Forderung nach höheren Löhnen, verweise aber zugleich darauf, dass allein sie auch für die Umsetzung verantwortlich seien.