Löhne steigen um 3,6 Prozent - und Leihkräfte verdienen künftig so viel wie die Stammbelegschaften
Hamburg. Es ist der erste "große" Tarifabschluss nach der Wirtschaftskrise: Die 85 000 Beschäftigten der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen erhalten vom 1. Oktober an 3,6 Prozent mehr Geld, für September gibt es eine Einmalzahlung von 150 Euro. Der Vertrag, auf den sich die IG Metall und die Arbeitgeber am frühen Donnerstagmorgen einigten, hat eine Laufzeit von 14 Monaten. Angesichts der stark gestiegenen Stahlnachfrage und der daraus resultierenden guten Geschäftslage in der Branche hatte die Gewerkschaft eine Lohnanhebung um sechs Prozent gefordert.
"Das Volumen der Entgeltanhebung belastet unsere Mitgliedsunternehmen erheblich", sagte der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes Stahl, Helmut F. Koch. Wegen der Rahmenbedingungen der diesjährigen Tarifrunde sei jedoch keine moderatere Einigung möglich gewesen. Mit dem Verhandlungsergebnis würden die Beschäftigten "fair und dauerhaft am Aufschwung beteiligt", sagte dagegen der nordrhein-westfälische Bezirksleiter der IG Metall, Oliver Burkhard.
"Dies ist der erste Abschluss, der nicht mehr von der Krise geprägt ist", sagte Reinhard Bispinck, Tarifexperte am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dem Abendblatt. "Mit dieser Tarifeinigung verbindet sich die Hoffnung, dass eine Trendwende erreicht ist, nachdem bei den zurückliegenden Abschlüssen weitgehend die Arbeitsplatzsicherung im Vordergrund stand." Schließlich seien nennenswerte Reallohnsteigerungen wichtig, um die Binnennachfrage in Deutschland zu stärken.
Darüber hinaus enthält das Verhandlungsergebnis eine bedeutsame Neuerung: Zeitarbeiter werden vom 1. Januar 2011 an nach dem Grundsatz "Gleiche Arbeit - Gleiches Geld" bezahlt. Durch diese "Fairness-Garantie für Leiharbeiter" sei man auf dem Weg, mit "Arbeitsverhältnissen zweiter Klasse überall Schluss zu machen", sagte Verhandlungsführer Burkhard.
Allerdings verstehe man dies nicht als Beispiel für andere Wirtschaftszweige, erklärte Koch: "Die Leiharbeit hat bei uns nicht die Bedeutung wie in anderen Branchen." Die Zeitarbeitsquote liege in der Stahlindustrie bei nur etwa drei Prozent. Facharbeiter verdienen in der Stahlindustrie laut IG Metall monatlich rund 2600 Euro brutto, Leiharbeiter etwa 20 Prozent weniger.
Die Zeitarbeitsbranche hält die im neuen Tarifvertrag enthaltene Regelung jedoch für nicht akzeptabel. "Der Tarifabschluss ist ein Vertrag zulasten Dritter", sagte Thomas Bäumer, Vizepräsident des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA). "Wir bezweifeln, ob eine solche Einschränkung einer rechtlichen Prüfung standhalten würde."
Den Börsenkursen von ThyssenKrupp und Salzgitter schadete der Abschluss jedenfalls nicht: Beide Aktien notierten gestern um rund drei Prozent im Plus - auch weil sich ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz zuversichtlich zur Stahlnachfrage äußerte.
Für das zum ArcelorMittal-Konzern gehörende Hamburger Stahlwerk gilt die Tarifeinigung nicht. Das Werk mit rund 550 Mitarbeitern unterliegt dem Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie.