Joachim Gauck sagt als Schlichter im Streit um Stuttgart 21 ab. Auch ein kleiner Käfer könnte das umstrittene Projekt noch bremsen.
Stuttgart. Neben Zehntausenden Demonstranten könnte auch ein Insekt das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 bremsen. Der vom Aussterben bedrohte Juchtenkäfer lebt auf dem Stuttgart-21-Gelände. Das Eisenbahnbundesamt hatte die Deutsche Bahn darüber informiert und naturschutzrechtliche Bedenken angemeldet. Das Schreiben wurde von der Bahn jedoch nicht an das Verwaltungsgericht Stuttgart weitergeleitet. In der Nacht zum Freitag wurden unter massivem Polizeischutz 25 Bäume nun möglicherweise illegal im Schlossgarten abgeholzt.
Nach der Eskalation der Gewalt bei dem Polizeieinsatz gegen Demonstranten vor der Baumfällaktion mit Hunderten Verletzten suchen Befürworter und Gegner von Stuttgart 21 nun einen Schlichter, der den Konflikt entschärft. Die Grünen im Landtag brachten den ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, 80, als möglichen Vermittler ins Gespräch. FDP-Chef Guido Westerwelle schlug den Bürgerrechtler Joachim Gauck vor; dieser hat nach Angaben seines Vereins "Gegen Vergessen Für Demokratie" aber keine Zeit dafür.
Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach sich dafür aus, einen Vermittler einzusetzen: Eine solche "Stimme der Vernunft" könne zur Entschärfung des Konflikts beitragen. Birgit Homburger, Chefin der FDP-Bundestagsfraktion, plädierte für einen "moderierten Diskussionsprozess". Der Moderator solle aus Baden-Württemberg vorgeschlagen werden, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir kann sich einen neutralen Vermittler vorstellen. Zunächst müsse es bei dem Milliarden-Bahnprojekt aber einen Baustopp geben. Sollte die Bahn die Bagger ruhen lassen, sei im Gegenzug eine Demonstrationspause denkbar, sagte der Stuttgarter Grünen-Verkehrsexperte Werner Wölfle. Auch gestern Abend protestierten wieder Zehntausende Stuttgart-21-Gegner.
+++ Morddrohung gegen Bahn-Chef wegen Stuttgart 21 +++
Die Projektträger bekräftigten ihrer Kritik an den Gegnern: Landes-Justizminister Ulrich Goll (FDP) bezeichnete die Demonstranten in der "Financial Times Deutschland" als "unduldsam und wohlstandsverwöhnt". Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) monierte im ZDF, dass das Aktionsbündnis "jeden Tag neue Gerüchte" streue, Ängste schüre und die Befürworter des Projekts systematisch diffamiere. Bahnchef Rüdiger Grube hatte für Aufregung gesorgt, als er sagte, es gebe kein Widerstandsrecht gegen einen Bau: "Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst."
+++ Kommentar: Bürger als Bremser +++
Heute befasst sich der Innenausschuss des Landtags in einer Sondersitzung mit dem Polizeieinsatz vom vergangenen Donnerstag. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) will seine Regierungserklärung zu dem Milliarden-Bahnprojekt um einen Tag vorziehen. Sprecher Heiko Kusche sagte, Mappus werde schon morgen und nicht wie geplant am Donnerstag vor dem Landtag über Stuttgart 21 sprechen.
Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) sagte Montagabend im "heute-journal" des ZDF, dass der Südflügel des Bahnhofs zunächst nicht abgerissen werde. Er sei für den Baufortschritt nicht nötig. "Wir werden ihn so bestehen lassen. Und ich glaube, das ist ein Signal."