Laut Medienberichten auch Kriminalamt in Stuttgart und Berlin eingeschaltet. SPD fordert Baustopp von “S21“ und kritisiert Polizeieinsatz.
Stuttgart. Bahn-Chef Rüdiger Grube hat offenbar wegen des umstrittenen Bahnprojekts “Stuttgart 21“ Morddrohungen erhalten. Die “Stuttgarter Nachrichten“ berichteten, dass Grube deshalb seit kurzem rund um die Uhr unter Polizeischutz stehe. Demnach sind sowohl die Polizei in Berlin als auch das Landeskriminalamt in Stuttgart eingeschaltet, die den Hauptsitz der Bahn in Berlin und Grubes Wohnhaus im Landkreis Calw bewachen. Bahnkreise bestätigten laut Zeitung die Bedrohung, ein Sprecher Grubes machte jedoch keine näheren Angaben.
Nach Angaben der Zeitung wurden im Umfeld des Wohnhauses zuletzt Aufnahmen der Familie gemacht und ins Internet gestellt. Grubes Frau und seine beiden Kinder wurden daraufhin zeitweise an einen geheimen Ort gebracht. Einige der Drohbriefe an den Bahn-Chef enthielten den Angaben zufolge ein weißes Pulver, das an den Milzbranderreger erinnerte, sich aber als harmlos entpuppte.
Der Streit um das Bahnprojekt “Stuttgart 21“ war zuletzt eskaliert, als ein Polizeieinsatz die Einrichtung der Baustelle im Schlossgarten gewährleistete. Mehr als hundert Demonstranten wurden verletzt. Bei dem Projekt wird der Hauptbahnhof für 4,1 Milliarden Euro vom Kopf- zum unterirdischen Tunnelbahnhof umgestaltet.
Die Bundes-SPD dringt nach dem blutigen Polizeieinsatz auf einen Baustopp für das umstrittene Bahnhofsprojekt. „Die Politik muss erkennen und akzeptieren, dass das Projekt von der Bevölkerung in Frage gestellt wird“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einer Sitzung des Parteipräsidiums in Berlin. Daher sollten die weiteren Arbeiten bis zu einer Volksabstimmung, wie sie die SPD fordert, oder bis zur Landtagswahl in Baden-Württemberg im März ausgesetzt werden. Es sei für die Glaubwürdigkeit der Politik wichtig, dass bis dahin nicht „weitere Fakten geschaffen werden“.
Gabriel machte deutlich, dass die Bundes-SPD das Projekt „Stuttgart 21“ weiterhin unterstütze. Das Vorhaben dürfe aber nicht „mit dem Polizeiknüppel durchgesetzt“ werden. Auch gebe es berechtigte Fragen zur Finanzierung. Daher sollten die Arbeiten unterbrochen werden, bis das Projekt durch eine Volksabstimmung möglichst noch vor der Landtagswahl eine neue Legitimation erhalten habe. Andernfalls drohe die Gefahr, dass gerade junge Menschen das Vertrauen in demokratische Institutionen verlieren würden. Auch die Landes-SPD fordert einen Baustopp bis zu einer Volksabstimmung.
Der SPD-Chef ging auch auf den Aufruf von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Stefan Mappus (beide CDU) ein, die Landtagswahl zur Abstimmung über „Stuttgart 21“ zu machen. Zwar halte er eine getrennte Befragung für besser, weil es bei der Landtagswahl auch um andere Themen gehe, doch mache auch die Argumentation der CDU nur Sinn, wenn die Bauarbeiten bis dahin nicht fortgesetzt würden. Nur dann könnten die Bürger überhaupt die Chance erhalten, selber zu entscheiden. Drohende Schadenersatzforderungen der Bahn und weiterer Unternehmen in Höhe von rund 1,4 Milliarden Euro bei einem Verzicht auf „Stuttgart 21“ müssten dabei mit Gegenstand der Debatte sein.
Der Mannheimer Staatsrechtler Wolf-Rüdiger Schenke hält die Äußerung von Bahnchef Rüdiger Grube rechtlich für unangreifbar, wonach es kein “Widerstandsrecht“ gegen den Bau des Bahnprojekts “Stuttgart 21“ gibt. “Die Aussage mag politisch nicht besonders klug sein, aber aus rechtlicher Sicht liegt Grube absolut richtig“, sagte Schenke am Montag im Interview der Nachrichtenagentur dapd in Karlsruhe. “Ein Recht zum Widerstand gegen ein demokratisch legitimiertes Projekt sieht das Grundgesetz nicht vor“, sagte Schenke. Er habe zwar Verständnis für die Demonstranten gerade mit Blick darauf, dass die Kosten von “Stuttgart 21“ höher würden als ursprünglich angenommen. Aber es handele sich “um ein ordnungsgemäß durchgeführtes Verfahren.“ Es sei “auch alles gerichtlich überprüft worden, wobei sicher auch entsprechende Gutachten herangezogen wurden“. Von einem Widerstandsrecht der Demonstranten gegen “Stuttgart 21“ könne daher “keine Rede sein“, sagte Schenke.
Man könne gegen solche Bauentscheidungen zwar demonstrieren, denn das Grundrecht der Versammlungsfreiheit könne niemand bestritten werden. Geschützt würden vom Grundgesetz aber nur friedliche Versammlungen. Auch Sitzblockaden würden nicht als Nötigung eingestuft. Anders sei dies aber, wenn jemand sich ankette oder Barrieren errichte.
Der Gebrauch des Begriffs “Widerstandsrecht“ durch Grube sei allerdings ungewöhnlich, sagte der Verfassungsrechtler. Zwar gebe zwar ein “Widerstandsrecht“ im Artikel 20, Absatz 4 des Grundgesetzes. Das habe aber “mit der Sache in Stuttgart überhaupt nichts zu tun“. Denn in diesem Verfassungsartikel gehe es nicht um den Widerstand gegen missliebige Projekte, sondern gegen Feinde der demokratischen Grundordnung in Deutschland. “Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“, heißt es in dem Grundgesetzartikel.