Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die Lage der Koalition, die Krise der FDP - und über den Populismus des SPD-Vorsitzenden.
Berlin. Sie wird als neue FDP-Vorsitzende gehandelt - falls Guido Westerwelle zurücktritt. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Justizministerin schon im Kabinett von Helmut Kohl war, gehört wieder zur Führungsreserve der Liberalen. Im Interview mit dem Abendblatt zeigt sie auf, wie ihre Partei und die Koalition aus dem Tief finden können.
Hamburger Abendblatt:
Frau Ministerin, ein Jahr nach der Bundestagswahl wünschen sich viele Deutsche die Große Koalition zurück. Haben Sie eine Vorstellung, weshalb die Bürger nicht mehr von Ihnen regiert werden wollen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
Eine Regierung hat Entscheidungen zu treffen, die nicht immer populär sind. Sparpaket und Gesundheitsreform sind notwendige Reformen, aber teilweise schmerzhaft. Schwarz-Gelb hat eine Chance, wenn wir die Projekte, die wir uns vorgenommen haben, auch konsequent umsetzen.
Wenn jetzt Bundestagswahl wäre, müsste die FDP um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Sind die Wähler undankbar?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Es geht nicht um Dankbarkeit bei Wahlen. Wir müssen zeigen, dass wir mit teilweise unpopulären Maßnahmen langfristige Ziele verfolgen: ein stabiles Gesundheitssystem, einen Haushalt ohne Neuverschuldung. Die momentane Stimmungslage ist ein Riesenauftrag an die Regierungsparteien, alles zu tun, um die Bürger wieder zu überzeugen.
Parteifreunde fürchten um die Existenz der FDP ...
Leutheusser-Schnarrenberger:
Ich sehe keine Existenzkrise. Aber wir befinden uns in einem großen Tief, aus dem wir auch wieder herauskommen können.
Wem in der Koalition trauen Sie zu, das Blatt zu wenden?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Es kommt auf Teamgeist an, auf gutes Zusammenarbeiten.
Was kann Horst Seehofer dazu beitragen?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Ich wünsche mir, dass Horst Seehofer die Arbeit der Koalition konstruktiv begleitet. Es darf keinen Gegenwind mehr aus Bayern geben. Es ist im gemeinsamen Interesse, dass die Querschüsse aufhören. Alle Umfragen machen deutlich, dass Uneinigkeit und das Torpedieren gemeinsam beschlossener Projekte der CSU nichts bringen. In Umfragen ist sie auf rasanter Talfahrt. Die CSU ist von früheren 60 Prozent unter die 40-Prozent-Marke gefallen.
Und Guido Westerwelle?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Das ganze Führungsteam muss zeigen, dass die FDP verlässlicher Partner in der Koalition ist, aber auch Schritt für Schritt ihre Reformansätze durchsetzt. Bei der Gesundheitsreform haben wir jetzt einen Fuß in der Tür. Wir haben einen ersten Schritt gemacht. Wenn wir Kurs halten, kann die FDP einen Teil der Bürger, die sich gerade von uns nicht angesprochen fühlen, wieder zurückholen. Die FDP muss glaubwürdig und berechenbar sein.
Angeblich denkt Ihr Parteichef über Rücktritt nach. Könnte die FDP auch ohne Westerwelle regieren?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Das hat Guido Westerwelle klar dementiert. Daher ist jede Spekulation überflüssig.
Würden Sie versuchen, Ihren Vorsitzenden von einem Rückzug ins Private abzubringen?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Ich bin der Überzeugung, dass Guido Westerwelle beide Ämter ausüben soll. Eine Personaldebatte würde unsere Anhänger nur noch mehr verunsichern.
Gilt das noch, wenn die wichtigen Landtagswahlen im Frühjahr verloren gehen?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Sechs Monate sind es bis zu den Landtagswahlen. Wir haben die Chance, das Blatt zu wenden und zu gewinnen.
Wen zählen Sie zur Führungsreserve der FDP?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Wir haben im Kabinett eine gute Mischung von Älteren und Jüngeren. Entscheidend ist, dass man im Kopf jung bleibt. Philipp Rösler ist ein profilierter Politiker genauso wie Christian Lindner. Aber wir haben so viele talentierte junge Politiker, die vielleicht derzeit noch nicht so bekannt sind, dass ich sie nicht alle aufzählen kann.
Sie selbst werden als Nachfolgerin Westerwelles gehandelt - zumindest für eine Übergangszeit. Schmeichelt Ihnen das?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Nein, ich bin voll ausgelastet mit dem FDP-Vorsitz in Bayern.
Wir hören von Ihnen aber nicht den Satz: Ich werde niemals FDP-Bundesvorsitzende sein.
Leutheusser-Schnarrenberger:
Sie wissen doch, dass ich von Personalspekulationen überhaupt nichts halte. Die Partei hat einen Vorsitzenden, den ich unterstütze, und damit basta.
Was muss der Regierung jetzt gelingen, damit sie enttäuschte Anhänger zurückgewinnen kann? Doch noch die Steuern senken?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Wir werden neben dem Sparen überlegen, wie wir uns Spielräume für weitere Entlastungen erarbeiten können. Das steht im Koalitionsvertrag. Die FDP wird darüber wachen, dass er eingehalten wird.
Die Hotelsteuer ist zum Symbol für Klientelpolitik geworden. Warum nimmt Schwarz-Gelb die Subvention nicht einfach zurück?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Zunächst hat die Absenkung dieses Mehrwertsteuersatzes zu Investitionen geführt. Aber wir haben verstanden, wie diese Entlastung in der Bevölkerung angekommen ist. Nur würde eine sofortige Rücknahme zu Verunsicherung führen. Richtig ist, dass wir insgesamt die Mehrwertsteuersätze überprüfen müssen. Wir brauchen ein übersichtlicheres System.
Die Entscheidung, die Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern, hat das Ansehen der Regierung weiter verschlechtert ...
Leutheusser-Schnarrenberger:
Die Bürgerproteste gegen die Laufzeitverlängerung beeindrucken mich natürlich. Aber das heißt nicht, dass wir unsere Position korrigieren. Wir müssen unser Energiekonzept erklären und darüber mit den Bürgern in den Dialog kommen. Mit dem Energiekonzept wollen wir realistisch den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien beschreiten.
Was macht Sie so sicher, dass Sie die Laufzeitverlängerung am Bundesrat vorbei durchsetzen können?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Ich bin zuversichtlich, dass unsere Rechtsauffassung trägt. Das lässt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz ableiten. Die Richter haben Kriterien festgelegt, wann die Veränderung einer Auftragsverwaltung des Bundes zustimmungspflichtig ist. Eine vorsichtige quantitative Veränderung stellt danach noch keine wesentliche Beeinträchtigung der Länderrechte dar.
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, vertritt in Gutachten eine andere Meinung.
Leutheusser-Schnarrenberger:
Es gibt höchst unterschiedliche Gutachten. Im Übrigen hat die rot-grüne Bundesregierung seinerzeit die Entscheidung zum Atomausstieg auch ohne den Bundesrat getroffen.
Die Atompolitik ist eines von mehreren Feldern, auf denen deutlich wird, dass sich die Kluft zwischen Bürgern und bürgerlichen Parteien weitet. Müssen Union und FDP wieder mehr auf die Menschen hören?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Wir müssen die Argumente der Menschen aufgreifen und uns damit auseinandersetzen.
Was bedeutet das für die Integrationspolitik?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Wir müssen aufnehmen, was die Bürger bewegt, aber auch darauf hinweisen, was es schon für Regelungen gibt. Im Aufenthaltsgesetz und im Sozialgesetzbuch haben wir bereits teilweise drastische Sanktionen für integrationsunwillige Zuwanderer. Wir müssen darauf achten, dass sie auch angewandt werden. In manchen Regionen gibt es Defizite im Vollzug solcher Gesetze.
Der CSU-Politiker Söder fordert ein Burka-Verbot, der SPD-Politiker Gabriel will Hassprediger ausweisen. Das kommt an beim Volk ...
Leutheusser-Schnarrenberger:
Die Meinungsbildung der Bürger verläuft sehr viel differenzierter, als manche glauben. Sie wissen, dass in Deutschland kaum jemand mit einer Burka herumläuft. Solche Vorschläge gehören in die Schublade. Sie bringen uns in der Integrationsdebatte überhaupt nicht weiter.
Hassprediger sollen bleiben?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Wer sich der Volksverhetzung strafbar macht, für den gibt es eine Strafe. Zudem haben wir ein engmaschiges System von Ausweisung und Abschiebung. Die populistischen Forderungen von Herrn Gabriel sind völlig verfehlt. Sie ähneln in Aspekten den Thesen von Herrn Sarrazin, den die SPD ausschließen will. So kann man mit dem Thema nicht umgehen. Entscheidend ist anderes: Wir brauchen islamischen Religionsunterricht in deutschen Schulen. Er soll in deutscher Sprache gehalten werden - von Lehrern, die an deutschen Hochschulen ausgebildet wurden.
Die Gründung einer rechtspopulistischen Partei wie in den Niederlanden oder in Schweden fürchten Sie nicht?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir in Deutschland eine neue rechtspopulistische Partei bekommen. Es hat mehrfach Versuche gegeben - letztlich ohne Erfolg. Auch die Republikaner sind wieder von der Bildfläche verschwunden.
Könnten Volksentscheide auf Bundesebene die Bürger mit der Politik versöhnen?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Volksentscheide halte ich unter engen Voraussetzungen für eine sinnvolle Ergänzung unseres repräsentativen Systems, auch auf Bundesebene.
Worüber sollte das Volk direkt entscheiden? Über das Sparpaket?
Leutheusser-Schnarrenberger:
Nein. Parteien wie die CSU fordern immer nur dann einen Volksentscheid, wenn es politisch passt, wie in der Frage des Türkei-Beitritts zur EU. Da muss man aufpassen, dass statt der Stärkung der Demokratie am Ende nicht die große Vereinfachung steht. Volksentscheide haben sich vor allem auf kommunaler und Landesebene bewährt. Im Bundestag werden seit Jahren solche Reformansätze diskutiert, aber nie gab es eine Mehrheit. Auch in dieser Legislaturperiode wird es dafür keine verfassungsändernde Mehrheit geben.