Karlsruher Richter weisen eine Verfassungsbeschwerde gegen die Zwangsabgabe ab. Doch sofort nach der Entscheidung beginnt die Diskussion.
Berlin. Der Solidaritätszuschlag darf weiterhin erhoben werden - auch zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung. Das Bundesverfassungsgericht verwarf in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss eine Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts, das wegen des bisherigen langen Erhebungszeitraums davon ausging, dass der Soli verfassungswidrig sei. Die Karlsruher Richter machten deutlich, dass eine solche "Ergänzungsabgabe" nicht von vornherein befristet werden müsse. Doch unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung ging die Debatte, ob der Zuschlag den Bürgern noch zugemutet werden kann, in eine neue Runde. So forderte nicht nur der Bund der Steuerzahler, sondern auch führende Liberale die Abschaffung des Soli. Frank Schäffler, Finanzexperte der FDP-Bundestagsfraktion, sagte: "Der Soli ist ein Geschwür im Einkommenssteuerrecht und gehört deshalb abgeschafft". "Eine solide Haushaltspolitik und die Konjunkturentwicklung lassen ein Abschaffen in dieser Legislaturperiode ausdrücklich zu, ohne den Solidarpakt II infrage zu stellen", fügte er hinzu. Der Vorsitzende des Bundestagsfinanzausschusses Volker Wissing (FDP) argumentierte ähnlich: "Dass der Solidaritätszuschlag verfassungsgemäß ist, darf keine Ausrede für eine Fortführung bis zum Sankt Nimmerleinstag sein."
Grundsätzliche Unterstützung für die Position kommt auch aus der Union: "Man kann den Soli nicht sofort kippen, aber die Politik muss die Kraft entwickeln, ihn stufenweise abzuschaffen", sagte Hans Michelbach, Vorsitzender der CSU-Mittelstandsunion, dem Hamburger Abendblatt. "Man darf eine zeitlich befristete Abgabe nicht bis in alle Ewigkeit aufrechterhalten." Grundsätzlich sei es aber eine "unglaubliche Watsch'n", die sich das Finanzgericht in Karlsruhe abholt habe: "Die Richter in Hannover haben ihre Hausaufgaben offensichtlich nicht gemacht."
Der Solidaritätszuschlag wird als Zuschlag zur Einkommens- und Körperschaftssteuer erhoben, derzeit in Höhe von 5,5 Prozent. Der Zuschlag wurde 1991 im Rahmen des Solidarpakts zunächst für ein Jahr eingeführt - ursprünglich mit dem Argument, so die Kosten der Wiedervereinigung finanzieren zu wollen. Seit 1995 wird er wieder erhoben - in West- und Ostdeutschland. Das niedersächsische Finanzgericht meinte, die über mehr als ein Jahrzehnt andauernde Erhebung des Soli sei mit der Vorstellung des Verfassungsgebers von der Ergänzungsabgabe als "zeitlich beschränktem Finanzierungsmittel "nicht vereinbar". Aber Karlsruhe beurteilte die niedersächsische Richtervorlage als "unzulässig", weil sich das Finanzgericht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Das Verfassungsgericht habe schon 1972 entschieden, dass eine zeitliche Befristung nicht zum Wesen einer Ergänzungsabgabe gehöre. Zwar habe sich das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995 inhaltlich noch nicht auseinandergesetzt. Es habe aber entschieden, dass es nicht geboten sei, eine Ergänzungsabgabe "von vornherein zu befristen oder sie nur für einen ganz kurzen Zeitraum zu erheben".
Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Karl Heinz Däke, der große Hoffnungen auf Karlsruhe gesetzt hatte, wies in einer ersten Reaktion darauf hin, dass die Deutschen den Soli mehrheitlich ablehnten. Däke forderte im "Handelsblatt": "Die Koalition sollte sich dem Votum der Bürger beugen und den Soli endlich abschaffen." Steuerzahlerbund-Geschäftsführer Reiner Holznagel ergänzte allerdings: "Wir sind gar nicht so unzufrieden, denn es gibt jetzt Klarheit in der Sache. Die Soli-Kritiker aus der Politik können sich nicht länger hinter einer Entscheidung aus Karlsruhe verstecken, sondern müssen jetzt Farbe bekennen, wie der Soli baldmöglichst abgebaut wird", sagte Holznagel der "Leipziger Volkszeitung". Es sei höchste Zeit für eine ordnungspolitische Korrektur in der Einnahmepolitik.
Das Ziel der Aufklärungskampagne gegen den Soli wurde aus Sicht des Steuerzahlerbundes erreicht. "Vielen ist jetzt endlich klar, dass der Soli eben nichts mit dem Solidarpakt für den Aufbau Ost zu tun hat. Die Soli-Einnahmen sind nicht zweckgebunden, sondern versickern einfach im Bundeshaushalt", so Holznagel. Da inzwischen eine deutliche Mehrheit der Deutschen den Soli als dauerhafte Zusatzeinnahme des Finanzministers ablehnt, sei die Politik zum Handeln gezwungen. Zudem sei klar, dass es keine zusätzlichen Abgaben mit dem Etikett Soli geben dürfte. "Wer jetzt ernsthaft einen Bildungs-Soli fordert, der betreibt Augenwischerei vor dem Steuerzahler. Die Bundestagsabgeordneten dürfen dieses falsche Spiel der Einnahmepolitik nicht länger mitmachen", sagte Holznagel in Richtung der Grünen. Doch die bleiben bei ihrer Position. Finanz-Expertin Lisa Paus sagte dem Abendblatt: "Das Gerichtsurteil ist eine willkommene Bestätigung, dass der Soli rechtens ist. Dass die Mittel für den Aufbau Ost auslaufen sollen, ist ohnehin beschlossene Sache. Wir sind der Ansicht, das Geld sollte stattdessen großflächig in Bildungsausgaben investiert werden."