Wirtschaftsforscher Klaus F. Zimmermann verteidigt zugleich die Analysen Sarrazins
Hamburg. In der von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin angestoßenen Debatte um Migranten hat sich der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Klaus F. Zimmermann für eine offensive Einwanderungspolitik starkgemacht. "Wir brauchen dringend Arbeitskräfte und Zuwanderer aus dem Ausland - und zwar mindestens netto 500 000 mehr Menschen pro Jahr, um unsere Wirtschaftskraft dauerhaft zu sichern", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Interview mit dem Abendblatt. Ohne ausländische Fachkräfte ließe sich der aktuelle Wohlstand nicht halten. Zudem würden die sozialen Sicherungssysteme wie die Rentenkasse vor immense Finanzprobleme gestellt, weil sie von immer weniger Beschäftigten finanziert werden müssten. "Ab 2015 verlieren wir jedes Jahr rund 250 000 Mitarbeiter. Dann fehlen aber bereits drei Millionen Arbeitskräfte am Markt - insbesondere Fachkräfte", so Zimmermann.
Die Einwanderung sollte nach Ansicht des Ökonomen künftig auf den kurzfristigen Bedarf am Arbeitsmarkt abgestimmt werden. "Wer einen Job hat, darf bis zu fünf Jahre kommen. Andererseits brauchen wir ein Punktesystem für dauerhafte Zuwanderung, wie es beispielsweise Australien oder Kanada praktizieren, bei dem es vor allem auf die Ausbildung ankommt."
Zimmermann zeigte zugleich Verständnis für die Thesen, die Sarrazin in seinem Buch äußert: "Ich teile die Analyse, dass wir ein Problem haben, und wer das Gegenteil behauptet, ist ein Ignorant. Sarrazin äußert sich oft überspitzt, aber er ist kein Rassist." Allerdings kritisiert der DIW-Chef Sarrazins Schlussfolgerungen als falsch. "Es handelt sich nicht um ein Problem der Religion, sondern eher um eines der Bildung und Herkunft." Die Türkei sei groß. Nach Deutschland seien vor allem Einwanderer vom Land gekommen, während besser gebildete Türken aus Istanbul vor allem in die USA auswanderten. "Die Situation wird erst besser, wenn wir die Grenzen zur Türkei öffnen und das Land in die EU aufnehmen."
Unterdessen hat der Staatsschutz in Köln wegen einer möglichen Morddrohung gegen Sarrazin Ermittlungen aufgenommen. Bei dem Internetdienst Facebook soll es mit Verweis auf Sarrazin den Eintrag "Sei des Todes" gegeben haben. Noch sei aber unklar, ob es sich tatsächlich um eine konkrete Todesdrohung handele, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
In der SPD sorgte der geplante Parteiausschluss von Thilo Sarrazin gestern für Widerspruch. "Ich bin dafür, dass die Mitglieder selber entscheiden", sagte der SPD-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, der "Bild". In der Hauptstadt-Partei gebe es sicher eine Mehrheit pro Sarrazin. Der Managerkreis der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zog dagegen bereits Konsequenzen. Man habe sich in gegenseitigem Einvernehmen darauf verständigt, dass Sarrazin aus dem Vorstand ausscheide, sagte Geschäftsführer Werner Rechmann. Dem Kreis gehören 1300 Führungskräfte aus der Wirtschaft an.
Nach Ansicht von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) darf Sarrazin die weitere Integrationsdebatte nicht bestimmen. "Sarrazin provoziert gerne, jetzt provoziert er zum Gelderwerb", sagte de Maizière der "Rheinischen Post".