Dem Ministerpräsidenten konnten auch kleinere Skandale nichts anhaben. Kurios: Der Chef seiner Staatskanzlei lebt im Ökohaus.
Wiesbaden. Machtwechsel in Hessen: Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Roland Koch hat der Landtag den bisherigen Innenminister Volker Bouffier (58: beide CDU) zum neuen Regierungschef gewählt. Bouffier erhielt in geheimer Wahl 66 von 116 Stimmen. Die Regierungsfraktionen CDU und FDP verfügen im Landtag über 66 Mandate, sodass sie offenbar geschlossen für Bouffier stimmten.
Wegen der mutmaßlich langen Amtsdauer von Koch nannte man Bouffier boshaft den „Prinz Charles von Hessen“. Weil es so aussah, als ob er vergeblich darauf warten müsste, Thronfolger von Koch zu werden. Profiliert hat sich Bouffier in den vergangenen Jahren vor allem als Innen- und Sicherheitspolitiker. Im Kabinett Koch ist er in elf Jahren zum dienstältesten Innenminister Deutschlands geworden. Künftig muss er sich auch noch um viele andere Themenfelder kümmern.
Wurde Koch auch in der eigenen Partei als Kopfmensch angesehen , so ist Bouffier eher der Mann fürs Herz in der Hessen-CDU. Er kann auf Menschen zugehen. Bouffier tritt jovial auf, klopft Schultern und schüttelt viele Hände. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Der Anwalt aus Gießen ist ein langjähriger Wegbegleiter von Koch gewesen. Beide waren sie Mitglied in der berühmten „Tankstelle“. Das war eine Gruppe von Mitgliedern der Jungen Union, die sich in den achtziger Jahren bei Treffen an einer Autobahnraststätte trafen. Ziel der Runde war es, sich beim gegenseitigen politischen Aufstieg zu helfen.
Erprobt ist Bouffier in vielen politischen Schlachten, dem Landtag gehört er seit fast 25 Jahren an. Für SPD-Chef Thorsten Schäfer- Gümbel ist der Mittelhesse indes „Skandalminister Nummer eins“. Derzeit untersucht ein Untersuchungsausschuss des Landtags, ob Bouffier bei der Besetzung eines hohen Polizeipostens gegen Recht und Gesetz verstoßen hat. Der Minister hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Auch schon früher hatte er jedoch einige Affären aussitzen müssen. So beriet er in einer Scheidungssache als Anwalt 1999 erst einen Freund und dann dessen Frau. Es folgte ein Strafbefehl wegen Parteiverrats. Oder: Bouffier und andere CDU-Politiker kauften zum Steuersparen Häuser in Sachsen von einer Firma, deren Geschäftsführer sich als Scientologe entpuppte. Das alles hat Bouffier aber nichts anhaben können.
Vier von sieben CDU-Ministerposten werden neu besetzt. Keine Veränderungen gibt es bei den drei FDP-geführten Ministerien Wirtschaft, Justiz und Schulen. Das Sozialministerium übernimmt der bisherige Leiter der Staatskanzlei, Stefan Grüttner (CDU), Minister Jürgen Banzer (CDU) scheidet aus. Der neue Sozial- und Arbeitsminister Stefan Grüttner (53) organisierte sieben Jahre lang als Staatskanzleichef Roland Kochs Schaltzentrale. Der als sehr loyal geltende Grüttner hatte schon als parlamentarischer Geschäftsführer die CDU-Fraktion im Landtag auf Kurs gehalten. Er ist seit 1995 im Landtag und war Obmann seiner Partei im Schwarzgeld-Untersuchungsausschuss.
Neu im Kabinett ist Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU), die bislang Bundestagsabgeordnete war. Mit Lucia Puttrich holt Volker Bouffier seine Stellvertreterin im CDU-Landesverband ins Kabinett. In dieses Amt war die Bundestagsabgeordnete erst im Juni gekommen. Auch deshalb gilt die verheiratete Mutter zweier erwachsener Töchter schon als Ministerkandidatin. Die 49-Jährige studierte Betriebswirtin war 14 Jahre lang Bürgermeisterin im mittelhessischen Nidda.
Neuer Finanzminister wird der bisherige Staatssekretär Thomas Schäfer, im Innenministerium wird Boris Rhein zum Minister befördert. Der bisherige Finanzstaatssekretär Thomas Schäfer (43) galt schon länger als Anwärter auf den Ministerposten. 2009 vertrat er Hessen in den Bemühungen der Bundesländer, den angeschlagenen Autobauer Opel zu erhalten. Schäfer wurde 1966 im Sauerland geboren, lernte Bankkaufmann in Biedenkopf und promovierte 1999 als Jurist. Der ehemalige Büroleiter von Ministerpräsident Koch ist verheiratet und hat eine Tochter.
Mit der Berufung zum Innenminister ist der CDU-Nachwuchshoffnung Boris Rhein der Sprung in die erste Reihe der hessischen Politik geglückt. Der 38-jährige Verwaltungsjurist aus Frankfurt hat viel Erfahrung: Nach sieben Jahren im Landtag wurde er 2006 erst Ordnungsdezernent, dann Wirtschaftsdezernent in seiner Heimatstadt.
Der bisherige CDU-Fraktionsgeschäftsführer Axel Wintermeyer wird Chef der Staatskanzlei. Wintermeyer (50) tritt stets so korrekt auf wie ein englischer Gentleman. Im Landtag, dem er seit 1999 angehört, gilt der Jurist als Spezialist für kniffelige Rechts- und Verfahrensfragen. Wintermeyer wurde 1960 in Wiesbaden geboren, studierte in Mainz und arbeitete als Rechtsanwalt in Hofheim am Taunus. Dort ließ er sich als Wohnhaus das höchste Ökohaus in Deutschland bauen.