Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm über Hackerangriffe auf deutsche Unternehmen - und die Chancen eines Islamisten-Aussteigerprogramms.
Berlin. Das Abendblatt-Interview mit dem Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes findet an seinem Berliner Dienstsitz statt - auf einem alten Kasernengelände am Treptower Park. Dort ist die Abteilung sechs des Bundesamts für Verfassungsschutz angesiedelt, die sich mit Terrorabwehr befasst. Ins Zentrum der Arbeit von Heinz Fromm rücken allerdings Angriffe anderer Art: Spionage gegen Regierungsstellen und Unternehmen richtet immer größeren Schaden an.
Hamburger Abendblatt:
Der Kalte Krieg ist vor mehr als 20 Jahren zu Ende gegangen. Muss Deutschland noch Spione fürchten, Herr Fromm?
Heinz Fromm:
Es gibt nach wie vor Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in und gegen Deutschland, wenn auch zum Teil in anderen, zeitgemäßen Formen. Die Abwehr von Spionage ist und bleibt daher ein Auftrag des Verfassungsschutzes.
Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin war in den Siebzigerjahren als Spion in Dresden tätig. Wie muss man sich die Geheimagenten des 21. Jahrhunderts vorstellen?
Den typischen Agenten gibt es nicht. Es ist leider doch etwas komplizierter. Der Einsatz moderner Technik für die Informationsbeschaffung spielt heute eine wesentliche Rolle. Es sind - mit steigender Intensität - Versuche festzustellen, über das Internet an vertrauliche Informationen zu gelangen, etwa mithilfe spezieller Software. Diesen meist aus dem Ausland gesteuerten Angriffen geht eine intensive Aufklärungsarbeit voraus.
In welcher Form?
Mitarbeiter fremder Nachrichtendienste identifizieren Zielpersonen, denen dann von irgendwoher maßgeschneiderte E-Mails geschickt werden. Werden diese geöffnet, wird die Schadsoftware aktiv und zieht Informationen ab. Der Absender hinterlässt dabei kaum verwertbare Spuren. Dadurch wird das Risiko der Entdeckung reduziert, und die strafrechtliche Verfolgung der Täter ist praktisch unmöglich. Insofern hat sich die Arbeit der Spionageabwehr ganz wesentlich verändert.
Aus welchen Ländern kommen die meisten Hackerangriffe?
Die Zahl der erkannten Angriffe auf deutsche IT-Systeme ist seit 2005 deutlich angestiegen. 2009 haben wir allein 1500 Angriffe auf deutsche Regierungsstellen registriert. Sie haben ihren Ursprung überwiegend in Asien, häufig in China. Für den Verdacht, dass staatliche Dienststellen daran beteiligt sind, gibt es eine ganze Reihe von Indizien. Sicher beweisen lässt sich das aber nicht.
Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Spione sich zurzeit in der Bundesrepublik aufhalten?
Wir haben, denke ich, einen recht guten Überblick über die Mitarbeiter diplomatischer und konsularischer Vertretungen in Deutschland, die an Spionageaktivitäten beteiligt sind. Im Übrigen liegt es in der Natur der Sache, dass die Anzahl der in Deutschland tätigen Agenten nicht bekannt ist. Das war nie anders. Auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Erfahrung ist es möglich, Einzelfälle zu erkennen ...
... nämlich wie?
Die Betroffenen machen Fehler oder wir bekommen Hinweise von dritter Seite. Auf diese Weise ist eine wirkungsvolle Abwehrarbeit möglich. Moderne Spionageabwehr ist allerdings sehr viel stärker auf Prävention ausgerichtet. Da die potenziellen Zielpersonen und Zielobjekte von Spionage bekannt sind, setzen wir hier mit entsprechenden Aufklärungsmaßnahmen und Warnhinweisen an. Im Rahmen unseres Wirtschaftsschutzprogramms etwa werden Unternehmen sensibilisiert, und wir geben Empfehlungen zum Schutz vor Ausspähung und Informationsabfluss. Da kann und muss noch mehr geschehen, was allerdings auch voraussetzt, dass wir gerade aus der Wirtschaft Hinweise erhalten.
Bekommen Sie die?
Es ist insoweit eine gewisse Zurückhaltung festzustellen, dem Verfassungsschutz Hackerangriffe, Ausspähversuche oder andere Verdachtsmomente mitzuteilen. Diese Zögerlichkeit ist zwar nachvollziehbar, aber unbegründet. Derartige Informationen werden mit größter Diskretion behandelt. Es gibt auf unserer Seite insbesondere keine gesetzliche Verpflichtung, Anzeige zu erstatten. Den Verfassungsschutzbehörden geht es darum, das Wissen über Methoden und Ziele von Wirtschaftsspionage zu vervollständigen und fortlaufend zu aktualisieren. Je besser dies gelingt, desto effektiver werden wir aufklären und beraten können.
Schützen sich die Firmen nicht selbst?
Das ist ganz unterschiedlich. Große Unternehmen tun viel, um sich zu schützen. Für die mittelständische Wirtschaft lässt sich das nicht generell feststellen. Die Ursache hierfür liegt erfahrungsgemäß darin, dass die Gefahr unterschätzt wird und auch die Bereitschaft, in den Unternehmensschutz zu investieren, nicht sehr ausgeprägt ist. Die Verfassungsschutzbehörden werden in Zukunft gemeinsam mit den Fachverbänden der Wirtschaft noch aktiver auf die Unternehmen zugehen.
Was empfehlen Sie konkret?
Ich werbe zunächst für eine erhöhte Aufmerksamkeit. Wirtschaftsspionage - das heißt die staatlich gelenkte illegale Beschaffung von technologischem und strategischem Know-how - ist eine permanente Bedrohung für die deutsche Wirtschaft. Die Sensibilisierungsbemühungen des Verfassungsschutzes umfassen konkrete Empfehlungen zum Schutz wertvoller Informationen. Außerdem geht es um Vorkehrungen zum Schutz betrieblicher Informationssysteme. Besondere Vorsicht ist auch bei Geschäftsreisen ins Ausland geboten. Auch insoweit lohnt es sich, aus Erfahrungen zu lernen.
Lässt sich der Schaden beziffern, der Deutschland durch Wirtschaftsspionage entsteht?
Belastbare Zahlen liegen nicht vor, unter anderem weil das Dunkelfeld sicher ganz erheblich ist. Jedenfalls ist von einem großen volkswirtschaftlichen Schaden auszugehen.
Was ist mit den westlichen Verbündeten? Spionieren auch sie in Deutschland?
Es liegen keine Hinweise darauf vor, dass Dienste verbündeter Staaten in Deutschland im Bereich der Wirtschaftsspionage aktiv sind. Völlig auszuschließen ist das selbstverständlich nicht. Ausspähung konkurrierender Unternehmen untereinander ist ohnehin immer einzukalkulieren.
Sind ausländischen Staaten Unternehmensgeheimnisse inzwischen wichtiger als Regierungsgeheimnisse?
Das Thema Wirtschaftsspionage hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Es lassen sich enorme Entwicklungskosten einsparen, wenn es gelingt, innovatives Know-how illegal zu beschaffen. Die Spionage im politischen oder militärischen Bereich ist seit dem Ende des Kalten Krieges deutlich zurückgegangen. Dennoch sind auch hier nach wie vor zahlreiche Aufklärungsbemühungen festzustellen. Eine weitere Herausforderung ist die Bespitzelung von Menschen ausländischer Herkunft, die in Opposition zu den Regimen in ihren Heimatländern stehen und sich hier entsprechend politisch betätigen. Die Spionageabwehr richtet sich deshalb auch gegen Nachrichtendienste, die auf deutschem Boden Angehörige verfolgter Minderheiten oder politische Dissidenten ausspähen, was oftmals auch zu erheblichen Nachteilen für deren Angehörige in der Heimat führen kann.
Herr Fromm, seit der Bundestagswahl tauchen im Internet nicht mehr so viele Drohungen islamistischer Extremisten auf. Ist die Gefahr eines terroristischen Anschlags geringer geworden?
Nein. Die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland oder gegen deutsche Interessen ist gleichbleibend hoch. Die Sicherheitsbehörden werden ihre Anstrengungen im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus nicht reduzieren können.
Haben Sie konkrete Hinweise?
Erkenntnisse über konkrete Planungen gibt es nicht. Aber das kann uns nicht beruhigen. Die Angehörigen dieser militant islamistischen Szene in Deutschland verhalten sich konspirativ. Das erfordert einen erheblichen Aufwand unsererseits.
Wolfgang Schäuble hat als Innenminister wiederholt vor Anschlägen mit nuklearem Material gewarnt. Ein realistisches Szenario?
Nach allgemeiner Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden würden islamistische Terroristen vor einem Einsatz sogenannter schmutziger Bomben nicht zurückschrecken. Das setzt jedoch voraus, dass sie in den Besitz derartigen Materials gelangen, was nicht auszuschließen ist. Diese Möglichkeit muss jedenfalls berücksichtigt werden.
Welche Bedeutung hat das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet bei der Vorbereitung von Anschlägen?
Radikalisierte Muslime aus Deutschland reisen dorthin, um sich in Ausbildungslagern für den Dschihad trainieren zu lassen und sich dort an Kämpfen zu beteiligen. Das ist eine Entwicklung, die anhält und seit Längerem erhebliche Sorge bereitet.
Wird sich das mit der Flutkatastrophe in der Region ändern?
Das ist bis jetzt nicht erkennbar. In den einschlägigen islamistischen Internet-Foren ist die Naturkatastrophe bisher kein Thema.
Hamburg hat die berüchtigte Taiba-Moschee, die Anlaufstelle für Extremisten war, geschlossen. Erleichtert das den Kampf gegen den Terrorismus?
Es gibt Erfahrungen damit, wie sich die Szene nach Verbotsmaßnahmen verhält. Die Schließung der Moschee in Hamburg ist ein deutliches Signal, dass derartige Zustände nicht geduldet werden können.
Sind Islamisten in einer Moschee nicht leichter zu beobachten als im Untergrund?
Ich würde in diesem Zusammenhang nicht von Untergrund sprechen. Es kann sein, dass die weitere Beobachtung zunächst etwas schwieriger ist. Aber das kann kein Grund sein, auf derartige Verbotsmaßnahmen zu verzichten.
Der Verfassungsschutz hat ein Aussteigerprogramm für Islamisten gegründet. Hat sich denn schon jemand gemeldet?
Ja, aber es ist noch zu früh für eine Zwischenbilanz. Es ist klar, dass wir mit einem Aussteigerprogramm das Problem des gewaltbereiten Islamismus in Deutschland nicht werden lösen können. Unsere Erwartungen sind eher zurückhaltend. Aber den Versuch ist es wert. Deshalb ist das Programm entwickelt worden. Auch wenn es nur Einzelne wären, denen aus dem dschihadistischen Milieu herausgeholfen werden kann, wäre das ein Erfolg. Das Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten, das seit neun Jahren läuft, hat zu einer ganzen Anzahl solcher Erfolge beigetragen.
Was, wenn ein Islamist sich meldet?
Wir prüfen in jedem Einzelfall zunächst die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Daran anschließend können je nach Bedarf ganz praktische Hilfsangebote gemacht werden. Wir haben Personen im Blick, die in die islamistische Szene hineingeraten sind und Zweifel bekommen, ob das der richtige Weg ist. Das Programm soll insbesondere auch Angehörigen eine Möglichkeit bieten, ihre Sorgen zu äußern und Rat zu suchen. Selbstverständlich ist, dass derartige Gespräche vertraulich bleiben.