Karim Popal hält die 3800 Euro pro Opfer des Luftangriffs für viel zu niedrig. Die Regierung sieht in der Zahlung kein Schuldeingeständnis.
Berlin/Bremen. Fast ein Jahr nach dem Luftangriff von Kundus hat die Bundeswehr Angehörigen der Opfer Geld gezahlt. Das Verteidigungsministerium will die Summe von jeweils 3800 Euro aber nicht als Entschädigung für die toten und verletzten Afghanen verstehen. Es handele sich um eine freiwillige humanitäre Hilfsleistung und nicht um eine „Entschädigung im Rechtssinne“, hieß es am Dienstag auf der Bundeswehr-Homepage (www.bundeswehr.de). Die Gesamtsumme beläuft sich auf knapp 327.000 Euro (430.000 US-Dollar).
Der Bremer Opferanwalt Bernhard Docke hält die Höhe der Zahlungen für unangemessen niedrig. Die Opferanwälte um den Bremer Juristen Karim Popal hatten für jeden Todesfall eine Entschädigung von rund 28.000 Euro gefordert. Trotz der Zahlungen der Bundeswehr will Popal klagen. „Das kann nicht mehr als eine Art Vorschuss sein. Das hindert uns nicht an einer Klage“, sagte der Bremer Jurist am Dienstag. Die Summe sei viel zu niedrig, kritisierte Popal. „Wir schämen uns für diesen Betrag.“ Er hat nach eigenen Angaben knapp 80 Vollmachten von Mandanten. Nach Popals Angaben wird es am Freitag ein weiteres Treffen mit dem Verteidigungsministerium geben. Seit mehr als einem Monat gebe es wieder Gespräche, berichtete Popal. Das Ministerium hatte Verhandlungen mit ihm Mitte April zunächst abgebrochen, weil die Mandatsfrage nicht ausreichend geklärt sei.
Die Bundesanwaltschaft hatte im April ein Verfahren gegen den Oberst eingestellt , der den Luftangriff auf zwei von Taliban entführte und beim nordafghanischen Kundus steckengebliebenen Tanklaster in der Nacht zum 4. September 2009 angeordnet hatte. Er hatte die Tanklaster als Gefahr für die in dem deutschen Verantwortungsbereich stationierten Soldaten angesehen. Nach Ministeriumsangaben war der Befehl zu dem Luftangriff völkerrechtlich zulässig.
Nach jüngsten Erkenntnissen starben dabei 91 Menschen. 11 wurden schwer verletzt. Im offiziellen Bericht der Afghanistan-Schutztruppe ISAF war von bis zu 142 Toten und Verletzten die Rede. Unklar ist, wie viele Zivilisten und Taliban darunter waren.
Nach Angaben des Ministeriums ermittelte die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC den Kreis der Opfer des Luftschlags und nannte dem deutschen Kommandeur des regionalen Wiederaufbauteams in Kundus, Oberst Reinhardt Zudrop, die betroffenen Familien. Manche von ihnen haben gleich mehrere Angehörige verloren.
„An jede betroffene Familie wurden 5000 US-Dollar gezahlt“, teilte das Ministerium mit. Das Geld sei bei einer afghanischen Bank eingezahlt worden. Die Angehörigen bekämen es über ein personalisiertes Konto.
Bei einem gemeinsamen Auftritt am Montag hatten der Direktor der AIHRC, Haiatullah Amiri, der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohamad Omar, und Zudrop die Zahlungen am Ort bekanntgegeben. Das Ministerium zitierte Abdullah Qahar als einen der betroffenen Familienangehörigen mit den Worten: „Das Geld hilft uns, ich werde mich um die Kinder kümmern, um ihnen eine bessere Ausbildung und Schulbildung zu ermöglichen.“