In Afrika findet Angela Merkel wieder Freude am Kanzlersein. Zu Hause soll ein neues Thema die CDU-Chefin aus der Defensive bringen.
Berlin/Hamburg. Endlich sah man sie mal wieder fröhlich. Als in der dritten Minute Thomas Müller das erste Tor für Deutschland schoss, da riss es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von ihrem Sitz hoch. Mit erhobenen Armen jubelte die Regierungschefin , ein breites Lächeln auf dem Gesicht. Nach drei weiteren Toren strahlte Merkel zufrieden in die Kameras und marschierte in die Kabine der deutschen Mannschaft, wo es Bier gab - und eine Umarmung von Bastian Schweinsteiger. Nationalspieler Per Mertesacker berichtete später, die Kanzlerin habe gegenüber den Spielern ihren Stolz ausgedrückt, "weil wir als eine tolle Mannschaft aufgetreten sind", wie er sagte.
Es könnte Neid in Merkels Worten mitgeschwungen haben, denn von Teamgeist ist in ihrer eigenen Mannschaft wenig zu spüren. Im Gegenteil: Als bewahrheite sich der Spruch von den Mäusen, die auf dem Tisch tanzen, sobald die Katze aus dem Haus ist, wächst in der Heimat der parteiinterne Widerstand gegen die CDU-Chefin.
Der sonst so loyale Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte indirekt Merkel und Kanzleramtschef Ronald Pofalla davor, im Alleingang zu viele Entscheidungen zu treffen. "Lasst euch nicht zu viele Einzelheiten hinschieben und zieht nicht zu viel an euch", sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". Als Grund für die schwierige Präsidentschaftswahl nannte Schäuble Unmut über die Regierungschefin: "Es ging vielen nicht um Joachim Gauck, den wir alle schätzen, oder um Christian Wulff, sondern um Angela Merkel."
In einer Umfrage von infratest dimap für den ARD-Deutschlandtrend sehen es 68 Prozent der Befragten als eine "Blamage" für die Bundeskanzlerin, dass Christian Wulff bei seiner Wahl zum Bundespräsidenten zahlreiche Stimmen aus dem eigenen Lager nicht bekommen hat. 77 Prozent äußerten die Ansicht, dass Merkel "ihre Regierungskoalition nicht mehr richtig im Griff hat". Nach den Problemen der Koalition bei der Bundespräsidentenwahl gehen 62 Prozent der Deutschen davon aus, dass "die Koalition aus Union und FDP nicht mehr lange halten wird".
Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, Josef Schlarmann, kritisierte, nicht alle schwierigen Fragen könnten in einem kleinen Kreis um Merkel gelöst werden. Der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand sprach sogar von einer "Bunkermentalität" im Kanzleramt. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erklärte: "Die Menschen erwarten statt des x-ten Aufrufs zum Neuanfang eine Regierung, die mit Substanz, Reformbereitschaft und Niveau die Probleme angeht." Dies müsse schnellstmöglich geschehen.
Hessens FDP-Fraktionschef Florian Rentsch verlangte: "Die Kanzlerin muss ihre Richtlinienkompetenz stärker als bisher nutzen." Der frühere FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt forderte Steuersenkungen noch in dieser Legislaturperiode - und ärgerte damit die Kanzlerin, die keine Steuersenkungsdebatten führen will.
Doch viel bitterer als dieses Trommelfeuer dürfte für Merkel sein, dass verschiedene Unionspolitiker von ihr fordern, den angekündigten Ausstieg des scheidenden hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch aus der Politik zu verhindern.
Merkel muss die neuerlichen Lobgesänge auf Koch als Kritik an ihrem eigenen Führungsstil verstehen, denn es ruft ihr eine bittere Situation aus der Bundesversammlung in Erinnerung. Zwischen zwei Wahlgängen hatte sie Präsidentschaftskandidat Wulff gedankt, dass er sich erneut zur Wahl stelle, und erntete Gelächter. Koch dagegen hielt eine aufrüttelnde Rede für Wulff, die mit langem Beifall quittiert wurde. Der hessische Ministerpräsident habe "in schwieriger Situation ein Wir-Gefühl erzeugt", lobte der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber im "Spiegel" - Koch solle unbedingt in der Bundespolitik gehalten werden.
Die kommenden Wochen drohen ebenfalls unerquicklich zu werden. Ein Beispiel: die Atompolitik. Aus Verärgerung über das lange Zögern im Kanzleramt vereinbarten die Chefs der Koalitionsfraktionen, Volker Kauder (CDU) und Birgit Homburger (FDP), bis Ende September in Eigenregie einen Gesetzentwurf über mindestens 15 Jahre längere Laufzeiten für Atomkraftwerke vorzulegen. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) will die Meiler dagegen höchstens zehn Jahre länger als geplant am Netz lassen.
Merkel versucht nun, mit einem neuen Thema zu punkten, das zu ihrem Image einer ausgleichenden Politikerin passen und positive Schlagzeilen produzieren soll - dem Kampf gegen Kinderarmut. Ihr Generalsekretär Hermann Gröhe kündigt an, das Thema "in das Zentrum der politischen Debatte stellen" zu wollen. "Jedes Kind hat den gleichen Wert. Jedes Kind wird gebraucht. Deshalb ist es für die Zukunft unseres Landes entscheidend, dass alle Kinder faire Chancen auf eine gute Bildung und damit eine gute Perspektive für ihr Leben haben", sagte Gröhe dem Hamburger Abendblatt.
Heute soll im Bundesvorstand das 19-seitige Konzeptpapier "Faire Chancen - für jedes Kind" beraten werden, das dem Abendblatt vorliegt (siehe Kasten).
Der Kampf gegen die Kinderarmut soll im November auf dem CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe beschlossen werden. Die Kanzlerin könnte ein Thema, das sie in die Offensive bringt, jedenfalls gut gebrauchen: Selbst wenn die Deutschen als Weltmeister aus Südafrika heimkehren - die WM endet in wenigen Tagen. Merkels Regierung will dagegen noch mehr als drei Jahre durchhalten.