Parteichef Guido Westerwelle räumt Fehler ein, will aber trotz der Umfragenflaute keinen grundsätzlichen Schwenk der Liberalen.
Berlin. Bei der letzten Frage war es mit der Contenance fast vorbei. Als Guido Westerwelle gefragt wurde, ob man denn seinen Generalsekretär Christian Lindner künftig als geschäftsführenden FDP-Parteichef betrachten müsse, schoss Westerwelle zurück. So etwas könne nur jemand fragen, der den Akteuren nichts Gutes wünsche.
Westerwelle konnte sein Gekränktsein gestern beim besten Willen nicht verbergen, als er am Ende der zweitägigen Vorstandsklausur zur Pressekonferenz in die Parteizentrale bat. Der Umfragenflaute zum Trotz kündigte er an: " Wir Freien Demokraten wollen einen neuen Anlauf, aber wir bleiben bei unseren Themen und unserem Kurs." Von Sonntagabend bis gestern Mittag hatte die Parteispitze über Wege aus dem Tief beraten - und dabei Kritik und Selbstkritik geübt.
Ergebnis: Die Freien Demokraten wollen sich jetzt neu aufstellen, dabei keine inhaltlichen Brüche riskieren, auf jeden Fall aber wegkommen vom Image der reinen Steuersenkungspartei . Das bedeutet, dass Themen wie Bildung und Bürgerrechte stärker in den Vordergrund gerückt werden sollen, die ordnungspolitischen Angelegenheiten aber weiter oben auf der FDP-Agenda stehen. Wenn auch mit einer bemerkenswerten Akzentverschiebung: Wegen der Währungskrise hat jetzt die Haushaltskonsolidierung Priorität. Die Forderung nach steuerlicher Entlastung der Mittelschicht, die die Liberalen bis zum Tag der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wie eine Monstranz vor sich hergetragen hatten, wird auf Tag X irgendwann in dieser Legislaturperiode verschoben. In dem Strategiepapier, das Westerwelle den Klausurteilnehmern vorlegte, heißt es, die FDP sei vor der NRW-Wahl zu zögerlich gewesen. Sie habe der Bevölkerung trotz vorzeigbarer Arbeit nicht deutlich genug vermittelt, was sie politisch durchsetzen wolle. "Wir haben zugelassen, dass diese Politik zu sehr wie Stückwerk auf die Menschen wirkt."
Die FDP müsse zusammen mit ihren Koalitionspartnern lernen, "nicht die Probleme der Politik, sondern die Probleme der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen". Gestern ging Westerwelle sogar so weit, von Fehlern zu sprechen, die gemacht worden seien. Auf der Klausur hatte es vor allem viel Stilkritik an den mitunter wenig konzilianten öffentlichen Auftritten des Vorsitzenden und seiner mangelnden Dialogbereitschaft der Partei gegenüber gehagelt. Rücktrittsforderungen gab es nicht. Auch einen akuten Richtungswechsel hielten die Teilnehmer für nicht erforderlich, ja sogar für falsch. Es gehe jetzt nur darum, auf den Kompass zu schauen und den Kurs falls nötig zu korrigieren. Dahinter stand die Einschätzung, dass fast die Hälfte all jener, die der FDP zurzeit ihre Stimme nicht mehr geben wollen, ins Lager der Nichtwähler übergewechselt seien.
Die Parteispitze nimmt diesen Unmut als Beleg dafür, dass sie in den ersten neun Monaten nach der Bundestagswahl "noch nicht geliefert hat". Das müsse sich nun ändern. Gleichzeitig wollen sich die Liberalen taktisch klüger verhalten, insbesondere was die innerkoalitionären Auseinandersetzungen betrifft. Das könnte dazu führen, dass die FDP künftig keine fertigen Konzepte präsentiert, sondern ihre Pläne weicher anmoderiert - das wäre in der Wirkung weniger provokant und auch weniger gefährlich, wenn man sich etwa gegen CSU-Chef Horst Seehofer nicht durchsetzen kann. Keine Rolle spielten bei der Klausur die zuvor angestellten Überlegungen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, um später Entlastungen für die Mittelschicht zu finanzieren. Generalsekretär Christian Lindner sprach nur noch vage von einer "Spardividende", die nach der Haushaltskonsolidierung an die Bürger weitergegeben werden solle.
Dabei gab es intern durchaus konkrete Vorstellungen. "Die Leistungsträger müssen dazu beitragen, den Sozialstaat zu finanzieren", forderte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und plädierte dafür, Steuersubventionen abzuschaffen, "die bestimmte Gruppen bevorzugen". Doch so ein Festbeißen möchte man ja nun vermeiden. Vielmehr will die FDP bis zum Frühjahr 2012 unter der Leitung von Christian Lindner ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten.
Anders als die "Freiburger Thesen", die Ende der Sechzigerjahre den Schwenk zur sozialliberalen Koalition vorbereiteten, soll dieses Grundsatzprogramm aber offenbar nicht auf eine künftige Ampelkoalition hingeschrieben werden. Schleswig-Holsteins FDP-Chef Wolfgang Kubicki, der das Erscheinungsbild der Liberalen zuletzt kritisiert hatte, war zufrieden: "Mit den Ergebnissen der Klausurtagung können wir endlich wieder in die Offensive gehen. In einem neuen Grundsatzprogramm werden wir auf der Grundlage unserer Werte zeitgemäße Positionen formulieren", sagte er dem Abendblatt.