Richter Breidling nutzte seine Urteilsbegründung zu einer Warnung vor den Gefahren des islamistischen Terrorismus.
Hamburg. Ohne sichtliche Regung hörten die Angeklagten gestern ihr Urteil. Sie werden einige Zeit hinter Gittern verbringen. Die Terroristen der sogenannten Sauerland-Gruppe, die als Mitglieder der Al-Qaida-nahen Islamischen Dschihad Union (IJU) in Deutschland Anschläge auf von Amerikanern besuchte Lokale, US-Militärbasen und den Flughafen Ramstein verüben wollen, hatten aber wohl damit gerechnet. Daniel Schneider, Adem Yilmaz, und Atilla Selek nahmen ihre Strafen von zwölf, elf und fünf Jahren sofort an. Ihr Anführer Fritz Gelowicz will noch eine Nacht darüber schlafen, wie sein Anwalt sagte. Er soll ebenfalls zwölf Jahre ins Gefängnis.
Damit ist der größte Terrorprozess seit den RAF-Verfahren in den 70er-Jahren zu Ende gegangen. Nach 65 Verhandlungstagen, die sich über zehn Monate erstreckten, in denen 62 Zeugen und 17 Sachverständige gehört wurden. Die Akten füllten allein 600 Ordner.
Dass sich das Verfahren nicht wie zunächst befürchtet über zwei Jahren hinzog, lag an den Angeklagten selbst. Gelangweilt von der Prozedur eines Gerichtsverfahrens gab Adem Yilmaz schon wenige Tage nach Beginn der Verhandlung den Anstoß für die dann umfassenden Geständnisse der vier. Ihre Aussagen umfassten letztlich 1700 Seiten. Bis dahin hatten sie beharrlich geschwiegen. Nun erhofften sie sich auch mildere Strafen.
Sehr viel hat es ihnen nicht gebracht. Der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling würdigte die Aussagebereitschaft und Mitarbeit der vier gestern zwar. Wegen des "Ausmaßes des Tatgeschehens" hatte das Gericht allerdings bei der Höhe des Strafmaßes "nichts zu verschenken" gehabt. Das Gericht blieb nur knapp unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die sich entsprechend "sehr zufrieden" zeigte.
Breidling nutzte seine Urteilsbegründung zu einer umfassenden Warnung vor den Gefahren des islamistischen Terrorismus. Dies sei "die Geißel unserer Zeit", die weiter um sich greife, sagte er. Die Anschlagspläne der Sauerland-Gruppe riefen "Erinnerungen an die Anschläge von Madrid und London wach". Dort hatten 2004 und 2005 in Spanien und Großbritannien aufgewachsene Migranten mit Anschlägen auf Züge und Busse etwa 250 Menschen getötet. Hätte das funktioniert, was die Verurteilten planten, dann hätte es nach Breidlings Aussage auch in Deutschland ein "ungeheures Blutbad" gegeben. "Einen Anschlag von einem solchen Ausmaß hat es in Deutschland noch nie gegeben und auch nicht die Verabredung zu einem solchen Anschlag", sagte Breidling. In den Köpfen und den Gesprächen der Angeklagten sei die Vorstellung von einem "zweiten 11. September" herumgegeistert.
Er warnte davor, die Männer, über die er urteilte, als Ausnahme zu sehen: "Es sind nicht nur die vier Angeklagten, die aus Verblendung und verqueren Dschihad-Ideen sowie aus Hass auf die ,Ungläubigen', vor allem Amerikaner, zu nahezu grenzenlosem und hemmungslosem Töten bereit waren." Es gebe offenbar zahlreiche verführbare oder schon verführte junge Männer, die sich "auf den Weg zum Töten begeben" und sich dabei in der Rolle von "Todesengeln im Namen des Islam sehen".
Der weltweite islamistische Terrorismus erfasse inzwischen auch junge Leute, die in der westlichen Kultur aufgewachsen seien - Menschen, die sich "orientierungslos von den lauten und schrillen Angeboten der ideologischen Verirrungen unserer Zeit unkritisch begeistern lassen". Umso verführbarer seien diese Menschen dann "für radikale Ideen, für Gewaltideen, die einfache Antworten geben, einfache, aber auch blutige Antworten auf die Frage ,was ist richtig, was ist falsch?'", sagte der Richter. "Und umso verführbarer sind sie dann für Hassprediger, wie sie zunehmend auch in unserem Land ihr Unwesen treiben - unter Missbrauch der Freiheitsrechte unserer Verfassung."
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, fordert deshalb eine stärkere Verfolgung von Hasspredigern als Konsequenz aus dem Verfahren. Dem Abendblatt sagte er: "Es ist in dem Prozess deutlich geworden, dass in Deutschland junge Muslime leben, die sich radikalisieren. Es ist wichtig, daraus zu lernen. Da die Hassprediger dabei eine zentrale Rolle spielen, muss ihnen das Handwerk gelegt werden." Das Verfahren lobte er als ein "gutes Beispiel" für Rechtsstaatlichkeit. "Die Höhe der Strafen wird eine Abschreckung für andere Täter sein", sagte Freiberg.
Nicht nur das Gerichtsverfahren um die vier Terroristen hat den Beinamen "Mammut" verdient. Auch der vorangegangene Polizeieinsatz. Ausgelöst durch einen Hinweis der US-Geheimdienste, startete Ende 2006 die Operation "Alberich". Bis zu 600 Ermittler überwachten die Verdächtigen monatelang nahezu lückenlos. Unbemerkt von der Öffentlichkeit befand sich die Polizei im Sommer 2007 im Ausnahmezustand. In der Folge gab es eine einschneidende gesetzliche Veränderung: Die Online-Durchsuchung wurde durchgesetzt.