Vor EU-Gipfel sorgt Satz über Euro-Bonds für Aufregung, der gar nicht so gemeint war. Opposition sieht Merkel als Teil des Problems.
Berlin. Den Satz, der binnen Minuten halb Europa in Aufregung versetzte, wiederholte Angela Merkel (CDU) nicht. Mit ihr werde es keine gesamtschuldnerische Haftung der Euro-Staaten geben, "solange ich lebe", hatte die Kanzlerin am Dienstagabend bei einem Besuch in der FDP-Fraktion verkündet. So deutlich hatte sie sich bisher nie gegen Euro-Bonds, Schuldentilgungsfonds und andere Formen der gemeinsamen Haftung ausgesprochen.
Viele Abgeordnete ihrer Koalition hätten es gern gehört, wenn Merkel ihr Bekenntnis gestern bei der Regierungserklärung auch öffentlich abgelegt hätte. Noch immer fürchtet ein Großteil der Abgeordneten, dass die Kanzlerin ihnen irgendwann zur Euro-Rettung doch die ungeliebten Gemeinschaftsanleihen zumuten muss. Doch der Satz spielte in der Debatte keine Rolle. Merkel hielt sich an ihr Standardrepertoire, aus dem sie seit Monaten ihre Reden zur Euro-Krise zusammensetzt.
+++ Leitartikel: Auf Leben und Tod? +++
+++ Nein zu Euro-Bonds: Merkel lehnt gemeinsame Haftung ab +++
Dazu gehört die Ablehnung von Euro-Bonds, aber weit weniger absolutistisch als am Vorabend in der FDP-Fraktion. Es gebe keinen einfachen "Befreiungsschlag", der sofort wirke, sagte Merkel. Genau den erhoffen sich viele ihrer Amtskollegen, etwa der Italiener Mario Monti oder der Spanier Mariano Rajoy. Die Risikoaufschläge auf die Anleihen beider Länder steigen und steigen. Die Zinssätze seien für das Land nicht mehr lange bezahlbar, warnt Rajoy. Der EU-Gipfel müsse Abhilfe schaffen.
Aber vor allem Merkel sträubt sich gegen die von vielen geforderte Lösung. Im Bundestag bezeichnete sie die Gemeinschaftsanleihen als "Scheinlösungen und Augenwischerei". Die Probleme der Krisenländer seien "hausgemacht". Und das heißt für die Kanzlerin: Sie müssen auch dort gelöst werden. Mit Strukturreformen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die Bundesregierung hat die Sorge, dass günstige Zinsen die Euro-Partner zu neuen Schulden und weniger Anstrengungen verleiten. "Ökonomisch kontraproduktiv" nannte Merkel die Euro-Bonds deshalb. Und sie hat noch ein juristisches Argument: Sie sind mit dem Grundgesetz und dem EU-Vertrag in derzeitiger Form nicht vereinbar.
Und trotzdem weiß Merkel, dass sie in Brüssel wieder mit der Forderung konfrontiert wird. Sie erwarte eine "kontroverse Diskussion", in der sich "alle oder viele Augen auf Deutschland richten". Mit anderen Worten: Die Kanzlerin rechnet damit, dass sie heftig angegangen wird. Und deshalb verschärft sie selbst den Ton. So kritisierte sie offen einen Bericht, den EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy zusammen mit den Chefs der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Euro-Gruppe erstellt hat. Dieser Masterplan enthält ebenfalls den Vorschlag, mittelfristig die Haftung für Schulden zumindest teilweise zu vergemeinschaften. "Haftung und Kontrolle stehen in diesem Bericht in einem Missverhältnis", sagte Merkel.
Die deutsche Hoffnung war eine andere: Merkel hat Euro-Bonds bisher nicht kategorisch für alle Tage ausgeschlossen. Sie will vielmehr zunächst Voraussetzungen erfüllt wissen. Wenn die Gemeinschaft für die Schulden haftet, muss sie auch über Einnahmen und Ausgaben der Staaten wachen dürfen. "Wir brauchen mehr Durchgriffsrechte, wenn Haushaltsregeln verletzt werden." In Europa gibt es deshalb die Hoffnung, dass sich Merkel irgendwann doch erweichen lässt. Wenn die Lage schlimm genug ist - und wenn es die schärferen Kontrollrechte gibt, wogegen sich bisher vor allem Frankreich wehrt. Deshalb herrschte in den europäischen Hauptstädten große Aufregung, als am Dienstagabend Merkels Satz bekannt wurde. Auch die EU-Spitzenvertreter, die ihren Masterplan kurz zuvor verschickt hatten, sollen überrascht und wenig begeistert gewesen sein über Merkels kategorisches Nein.
"Solange ich lebe!" Selbst ihre Getreuen aus der CDU starrten staunend auf ihre Smartphones - und konnten es kaum glauben. Eine Position wie in Stein gemeißelt - für die Ewigkeit. Also eigentlich gar nicht typisch für Merkel, die sich sonst immer möglichst lange möglichst viele Optionen offenhält und eine frühe Festlegung scheut.
Geplant war die neue kategorische Festlegung so auch nicht. Sonst hätte sie Merkel zuerst vor den eigenen Leuten gemacht - in der Unionsfraktion gibt es ja auch viele Skeptiker gegen Euro-Bonds. Merkel hatte vor der FDP-Fraktion ausgeführt, dass es in Europa noch sehr lange nationale Haushaltsbefugnisse geben werde. Sie führte als Beispiel an, selbst in der Bundesrepublik gebe es nach 63 Jahren Staatlichkeit noch immer keine formale gemeinschaftliche Haftung. In diesem Zusammenhang fiel der Satz, auch für Europa sehe sie eine solche gesamtschuldnerische Haftung nicht - "solange ich lebe". Merkel war quasi vom Erklären ins Dozieren geraten. Sie wollte einen Sachverhalt deutlich machen, aber keine neue Position einnehmen. Genau so ist es aber verstanden worden: Die Kanzlerin hat also das bisher größte Stoppschild gegen Euro-Bonds quasi aus Versehen errichtet. Wohl ist ihr dabei nicht. Aus ihrem Umfeld wird geraten, sich nicht an dem einen Satz festzuhalten. Die Kanzlerin habe keinen Strategiewechsel verkündet. Deshalb hat sie das Zitat im Bundestag nicht wiederholt. Und auch die Hauptredner der Opposition griffen es nicht auf. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier mied das Thema Euro-Bonds komplett. Schließlich tun sich die Sozialdemokraten hier mit einer Positionierung schwer, erst waren sie für die Gemeinschaftsanleihen, nun dagegen.
Steinmeier griff vielmehr das Krisenmanagement der Kanzlerin an. "Sie sind nicht Teil der Lösung, sondern Sie waren und sind Teil des Problems", sagte er in Richtung Merkel. Sie habe die falsche Diagnose zur Krise und deshalb auch die falsche Medizin. Zwar seien auch die Sozialdemokraten für Haushaltskonsolidierung, es müsse aber trotzdem mehr für das Wachstum getan werden. "Reine Austeritätspolitik ist vom Tisch." Für den Fall, dass es entsprechende Beschlüsse beim EU-Gipfel gibt, stellte Steinmeier die Zustimmung seiner Fraktion bei der Abstimmung über Fiskalpakt und Rettungsschirm am Freitag im Bundestag in Aussicht.
In Brüssel werden die Regierungschefs ein 130 Milliarden Euro schweres Wachstumspaket beschließen. Ein Großteil des Geldes soll allerdings aus ungenutzten EU-Strukturfonds kommen. Merkel deutete aber noch weiteres Entgegenkommen an. Auch die Einnahmen der geplanten Finanztransaktionssteuer könnten für Wirtschaftswachstums und Jobs genutzt werden. Bisher war vorgesehen, dass die Einnahmen an die Staaten fließen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) rechnet mit zwei Milliarden Euro.