496 Abgeordnete stimmten insgesamt für die neuen Hilfen, 90 Parlamentarier waren indes dagegen. Die Koalition präsentierte sich gespalten.
Berlin. Schwere Zeiten für Angela Merkel: Die Regierungskoalition hat bei der Abstimmung über das zweite Rettungspaket für Griechenland im Bundestag die sogenannte Kanzlermehrheit verfehlt. Wie es am Montagabend in Bundestagskreisen hieß, stimmten von der schwarz-gelben Koalition lediglich 304 Abgeordnete für die Vorlage der Bundesregierung. Die Kanzlermehrheit liegt bei 311 Stimmen. Die schwarz-gelbe Koalition verfügt im Bundestag über 330 Mandate.
Zuvor hatte der Bundestag das zweite Rettungspaket für Griechenland insgesamt mit großer Mehrheit gebilligt. Für das neue Hilfsprogramm von 130 Milliarden Euro stimmten am Montagabend Abgeordnete des schwarz-gelben Regierungsbündnisses sowie von SPD und Grünen. In der namentlichen Abstimmung gab es 496 Ja-Stimmen. 90 Parlamentarier waren dagegen, 5 enthielten sich.
Griechen müssen mit jedem Cent rechnen
Es ist bereits das zweite Hilfsprogramm für das angeschlagene Euro-Land seit Mai 2010. Als Gegenleistung für die Milliardenhilfen bis Ende 2014 hat sich Athen zu einem scharfen Spar- und Reformkurs verpflichtet. Wichtige Punkte wie die Beteiligung der Privatgläubiger an einem Schuldenschnitt sowie die Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind aber noch offen.
Vor der Abstimmung überraschte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Angebot, dass Deutschland den künftigen Euro-Rettungsschirm ESM weit schneller mit Kapital ausstatten will als bisher geplant. Die Bundesregierung sei bereit, noch in diesem Jahr elf Milliarden Euro als Bareinlage in den dauerhaften Krisenfonds einzuzahlen und die zweite Hälfte des deutschen Beitrags dann im nächsten Jahr.
„Voraussetzung dafür ist, dass auch die anderen Mitgliedstaaten mitziehen“, betonte die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung. Damit würde die Ausleihkapazität des im Juli startenden ESM von bis zu 500 Milliarden Euro nach nur zwei Jahren erreicht statt nach fünf Jahren.
Zugleich erteilte die Kanzlerin Forderungen der USA, der EU-Kommission sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach einem höherem Schutzwall um die Euro-Zone erneut eine Absage. „Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine Debatte über eine Erhöhung der Kapazitäten von EFSF und ESM.“
Mit ihrem Angebot reagierte Merkel auch auf wachsenden internationalen Druck, den Hilfsfonds über 500 Milliarden Euro hinaus aufzustocken. Die Finanzausstattung des ESM ist Thema beim nächsten EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel.
Der ESM soll mit Bareinlagen der Euro-Länder von 80 Milliarden Euro ausgestattet werden. Davon schultert Deutschland 21,7 Milliarden. Ursprünglich sollte das Geld in fünf gleichen Jahresraten eingezahlt werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss dafür neue Schulden aufnehmen und 2012 einen Nachtragsetat vorlegen.
Vor der Abstimmung über das Hilfspaket hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mit einem Vorstoß zum Austritt Athens aus der Euro-Zone für Irritationen und Unmut auch im Koalitionslager gesorgt. Merkel ließ den Vorstoß zurückweisen: Die Kanzlerin teile diese Einschätzung nicht, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert.
Die Kanzlerin erklärte, die Chancen mit dem neuen Hilfsprogramms seien größer als die Risiken. Der vor den Griechen liegende Weg sei aber lang und wahrlich nicht ohne Risiko. „Eine 100-prozentige Erfolgsgarantie kann niemand geben“, betonte Merkel. Sie rief die privaten Gläubiger auf, sich am Schuldenschnitt zu beteiligen. Unabdingbar sei ein weiter signifikanter Beitrag des IWF.
Der frühere Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hält das Vorgehen der Bundesregierung „auf ganzer Linie“ für gescheitert. Merkel habe die Dimension der griechischen Tragödie lange völlig unterschätzt. „Das zweite Griechenland-Paket ist auf sehr dünnem Eis gesetzt.“ Merkel vermeide es jedoch weiter, der Bevölkerung reinen Wein über die Kosten einzuschenken. „Es wird teurer werden, als die Bundesregierung uns weismachen wird“, betonte Steinbrück.
Bei den Grünen wurden große Sorgen um die soziale Stabilität Griechenlands deutlich. Zwar hatten bei einer Probeabstimmung alle anwesenden Abgeordneten bis auf Hans-Christian Ströbele Zustimmung signalisiert. Doch sei auch Unmut laut geworden, dass Griechenland erstickende Sparauflagen gemacht würden.
Linke-Fraktionschef Gregor Gysi verglich die Vorgaben für Athen mit den Reparationsforderungen an Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. „Sie machen bei Griechenland Versailles, die brauchen aber Marshall.“ Er verwies darauf, dass die Siegerforderungen im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg zu weitgehend gewesen seien, was einer der Gründe für das Erstarken der Nationalsozialisten gewesen sei. Die westlichen Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg seien mit dem Marshallplan zum Wiederaufbau Deutschlands dagegen viel klüger gewesen. (dpa/rtr)