Hamburg/Berlin. Deutschlands größtes Internet-Projekt steht still. Die elektronische Gesundheitskarte, die schon seit drei Jahren in den Portemonnaies aller Krankenversicherten sein sollte, wird überprüft. Der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) legt das Milliarden-Vorhaben auf Eis, bis alle datenschutzrechtlichen Einwände geklärt und der medizinische Nutzen erwiesen ist.
Rösler sprach von einem "Moratorium": "Die Erweiterung der Krankenversichertenkarte zu einer elektronischen Gesundheitskarte soll zunächst auf ein modernes, sicheres Versichertendatenmanagement sowie die Notfalldaten konzentriert werden." Das heißt: Name, Anschrift, Kasse, Passbild. Die Karte, die derzeit schon in Teilen Nordrhein-Westfalens ausgegeben wird, kann nichts mehr als die alte, abgesehen vom Foto - ein Desaster für ein Projekt, das einmal mit 1,4 Milliarden Kosten veranschlagt wurde, aber nach verschiedenen Gutachten erheblich teurer wird. Allerdings soll die Karte Kosten senken helfen und millionenteuren Missbrauch verhindern.
Der neue Staatssekretär im Rösler-Ministerium, der FDP-Gesundheitsexperte Daniel Bahr, sagte dem Abendblatt: "Zunächst kommt eine erweiterte, datenschutzrechtlich sicherere Krankenversichertenkarte mit Foto. Darüber hinausgehende netzbasierte medizinische Anwendungen wie eine elektronische Patientenakte setzen allerdings voraus, dass die Praxistauglichkeit für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte gegeben ist, die Qualität der Behandlung besser wird sowie die Sicherheit der sensiblen persönlichen Daten gewahrt bleibt. Solange diese Bedingungen nicht erfüllt sind, gilt ein unbefristetes Moratorium."
Bei den Tests fiel die neue Karte oft durch: Die Patienten hatten die fünfstellige PIN-Nummer vergessen, das Einlesen in der Praxis dauerte zu lange. Die Online-Rezepte hakten.
Der Vorstandsvorsitzende des Kassenverbands VDEK, Thomas Ballast, forderte im Abendblatt von der Bundesregierung: "Wir brauchen schnell Klarheit. Die Ärzte und Apotheker müssen verpflichtet werden, sich online anzubinden." Das scheitert bislang am vielfachen Widerstand der Ärzte - auch in Hamburg, wo die Karten eigentlich 2010 kommen sollten. Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung, Dieter Bollmann, sagte dem Abendblatt: "Ich gehe davon aus, dass das Roll-out der Karte zurückgestellt wird. Es macht keinen Sinn, Milliarden zu investieren, wenn kein Nutzen dagegensteht." Bollmann sagte, es sei gut, wenn die Regierung "mal innehält und sagt: Was machen wir da eigentlich?".
Der Vorstandschef der KKH-Allianz, Ingo Kailuweit, drängt den Gesundheitsminister: "Sowohl die Kostenträger als auch die Industrie erwarten jetzt von der Politik, dass notwendige Analysen und die daraus folgenden Entscheidungen mit der gebotenen Sorgfalt, aber auch mit der notwendigen Schnelligkeit getroffen werden. Weitere Zeitverzögerungen können zu Akzeptanzproblemen bei allen Beteiligten führen", sagte Kailuweit dem Abendblatt.
Der Präsident der Freien Ärzteschaft, Martin Grauduszus, sagte: "Wir schlagen für eine bessere Vernetzung von Ärzten und Kliniken eine Punkt-zu-Punkt-Vernetzung vor und nicht zentrale Server. Dadurch gelangen sensible Daten verschlüsselt durch eine sichere Leitung."