Friedliche Kundgebungen gegen den Sozialabbau endeten in Krawallen von Linken. Polizisten wurden durch eine Explosion schwer verletzt.
Stuttgart. Eine zunächst friedliche Demonstration gegen das Sparpaket der Bundesregierung ist am Sonnabend von Tumulten durch Autonome überschattet worden. Eine Gruppe von 80 Linksextremen bewarf in Stuttgart den Chef der SPD-Landtagsfraktion Claus Schmiedel mit Eiern, Flaschen und Fahnenstangen. Er wurde von Regenschirmen geschützt, Polizisten stürmten auf die Bühne. Schmiedels Rede war im Getöse von Trillerpfeifen und Buh-Rufen kaum zu verstehen. Nach Polizei-Angaben gab es auf der Bühne einige Verletzte. Zuvor hatte der Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske gefordert, die Bundesregierung müsse geplante Sozialkürzungen stoppen.
Schmiedel sah den Angriff im Zusammenhang mit dem Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21: Im Vorfeld habe es Massen-Mails gegeben, in denen zum Protest gegen ihn aufgerufen worden sei, weil er das Bauprojekt am Stuttgarter Hauptbahnhof befürwortet. Das hätten Krawallmacher zum Anlass genommen, ihre Aggression an ihm zu entladen. Schmiedel, der an denBeinen vonEiern getroffen wurde, warnte dieGegner von Stuttgart 21 davor, ihn zum Feindbild zu machen.
Der Landessprecher der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, versuchte auf der Bühne vergeblich, die Menge zu beruhigen. Nach der Demonstration bedauerte Riexinger den Übergriff. „Bis auf diese eine Viertelstunde war das eine sehr gelungene Demonstration.“ Der Linken-Landeschef hatte auf der Bühne einen Mindestlohn von 10 Euro sowie die Rücknahme der Rente mit 67 gefordert.
Insgesamt hatten sich nach Polizeiangaben rund 10 000 Menschen an der Demonstration beteiligt. Die Veranstalter sprachen von rund 20 000 Teilnehmern. Der Protestzug unter dem Motto „Gerecht geht anders“ hatte am späten Vormittag am Hauptbahnhof begonnen. Auf den Plakaten der Teilnehmer waren Forderungen nach weniger Sozialkürzungen und einem höheren Spitzensteuersatz zu lesen. Im Fahnenmeer waren Banner vondenGewerkschaften Verdi und DGB sowie von SPD,Grünen und Linken zu sehen. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Opposition und sozialen Vereinen hatte zu dem Protestzug aufgerufen.
Verdi-Chef Bsirske forderte eine Regulierung der Finanzmärkte, dessen Auswüchse die Finanzkrise verursacht hätten. Das Sparpaket der Bundesregierung belaste vor allem ärmere Menschen, etwa Hartz-IV-Empfänger. Reiche hingegen würden verschont. „Das ist Irrsinn, und das fängt gerade erst an.“ Denn zur Verwirklichung der Schuldenbremse bis 2020 drohten weitere unsoziale Einsparungen durch die Bundesregierung, sagte Bsirske. Er schlug eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes vor. „Es ist nicht gottgegeben, dass wir ein Niedriglohnland sind.“ Außerdem sollten Ärzte, Rechtsanwälte und Steuerberater Gewerbesteuer zahlen müssen, um die Finanznot der Kommunen zu lindern. Bsirske sah den Protestzug in Stuttgart als Beginn weiterer Aktionen gegen den Sozialabbau.
Zu einem Protestzug in Berlin kamen am Samstag nach Veranstalter-Angaben 20 000 Menschen, nach Angaben des globalisierungskritischen Netzwerks Attac gingen in Berlin mehr als 15.000 Menschen auf die Straße.. Auch hier kam es zu Krawallen und zu einem schweren Zwischenfall: Zwei Polizisten wurden durch eine Explosion schwer verletzt, wie ein Polizeisprecher sagte. Die Einsatzkräfte seien aus dem Demonstrationszug heraus mit Böllern, Flaschen und Steinen beworfen worden. Mehrere weitere Polizisten wurden demnach leicht verletzt. Was genau geworfen wurde und dann explodierte, werde noch ermittelt, sagte der Sprecher. Mindestens sieben Demonstranten seien festgenommen worden.
Die Südwest-Landeschefin von Verdi, Leni Breymaier, hatte im Vorfeld mehr Staatsausgaben gefordert. „Man darf dieses Land nicht kaputtsparen“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Durch die Kürzungen würde der private Konsum abgewürgt, das brächte Ebbe in die Kassen und gefährde Arbeitsplätze. Sie plädierte für ein neues staatliches Konjunkturprogramm, das mit 100 Milliarden Euro die Konjunktur nachhaltig ankurbeln könnte. „Nicht sparen ist das allein Seligmachende, sondern wir müssen die Wirtschaft am Laufen halten.“
Finanzminister Willi Stächele (CDU) wies die Forderungen der Gewerkschafterin zurück. Angesichts der hohen Staatsverschuldung müsse gespart werden. Breymaiers Vorschläge zu Steuererhöhungen seien „eine konjunkturpolitische Geisterfahrt, die Wachstumschancen kaputt macht“, sagte Stächele.