Jeder moderne Medienprofi hätte zum sexuellen Missbrauch durch Kirchenleute wirkungsvollere Worte gefunden als der Papst in seinem Hirtenbrief. Doch der "Stellvertreter Christi auf Erden" setzt andere Maßstäbe. Er will in seinem Schreiben nicht den erstbesten Sündenbock benennen, den Kritiker schnell zur Hand haben. Nach deren Meinung ist die verschrobene Sexualmoral der katholischen Kirche schuld, gefördert von der verordneten Ehelosigkeit der Priester, die triebhafte Untaten an Kindern und Jugendlichen im verschwiegenen Dickicht kirchlicher Autoritäten gut tarnen konnten. Doch so einfach ist die Ursachenanalyse leider nicht. Missbrauch gibt es auch an nicht kirchlichen Einrichtungen, an liberalen Reformschulen wie bei weltlichen Sängerknaben.
Der Papst spielt sich nicht zum Ankläger auf. Er hat sich als sorgenvoller Hirte zu Wort gemeldet. Selten hat in diesem Amt jemand so klar seine Gefühle offenbart: Benedikt XVI. ist "sehr beunruhigt" und "bestürzt". Den Opfern offenbart er schonungslos: "Ich weiß, dass nichts das Erlittene ungeschehen machen kann." Und er signalisiert Verständnis, dass es einigen schwerfalle, "durch die Türen der Kirche zu gehen nach allem, was passiert ist".
Angesichts der Stellung als Hüter der Kirche mit weltweit einer Milliarde Katholiken wäre es mehr als kleinlich zu kritisieren, der Papst hätte im gleichem Atemzug die Missbrauchsfälle in seinem Heimatland mit auflisten müssen. Wer wissen will, was der Papst über jeden Missbrauch denkt, findet dazu alles in diesem Brief an die Iren. Der Missbrauch von Kindern, so der Papst, "ist weder ein rein irisches noch ein rein kirchliches Problem".
Benedikt XVI. hat nie einen Zweifel gelassen, dass er nichts vom Vertuschen hält. Während manche Bischöfe noch Straftäter im Klerus mit Versetzungen "bestraften", hat der Oberhirte stets betont, dass er pädophile Neigungen und Priesterstand für unvereinbar hält. Folgerichtig mahnt er jetzt eine bessere Ausbildung und eine sorgfältigere Auswahl der Kandidaten an. In aller Demut wird der ehemalige Theologieprofessor wissen: Im Alltag ist auch der Papst fehlbar. Hat er doch einige der irischen Bischöfe selbst berufen, denen er jetzt schwerwiegende Fehler vorhält.