Berlin. Die Kanzlerin schweigt zu der von Guido Westerwelle angestoßenen Hartz-IV-Debatte. Das bringt die Opposition in Rage. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Angela Merkel (CDU) deshalb aufgefordert, in der "schrillen" Debatte um die Hartz-IV-Regelsätze endlich ein Machtwort zu sprechen. Schließlich sei sie es gewesen, die Westerwelle in die Regierung eingeladen habe. "Da lässt sie ihn nun unterm Dachstuhl zündeln - dabei ist sie die Hausbesitzerin!" Der SPD-Vorsitzende hatte Westerwelle bereits im Interview mit der "Frankfurter Rundschau" einen "sozialpolitischen Brandstifter" genannt.
Gestern Mittag meinte Gabriel, es sei korrekt, dass es in Deutschland eine Reihe von Berufen gebe, in denen bei voller Arbeit weniger Geld verdient werde, als mancher Hartz-IV-Empfänger unter bestimmten Konstellationen erhalte. Drei Millionen Arbeitnehmer hätten einen Stundenlohn von weniger als acht Euro. Weitere 1,3 Millionen verdienten sogar so wenig, dass ihre Arbeit mit zusätzlichen Hartz-IV-Leistungen subventioniert werden müsse. Aber wenn der Vorsitzende der FDP auf ein solches Problem aufmerksam mache, könne man auch Konsequenzen der Regierung erwarten. Stattdessen sei die Kanzlerin zu "feige", eine Regierungserklärung abzugeben, und ihr Stellvertreter stapele weiter die Benzinfässer unterm Dach. Und weil der SPD-Vorsitzende gerade in Geberlaune war, warf er Westerwelle auch noch vor, sich als "Fundamentalist" zu betätigen: "Wenn es Sozialbetrüger gibt, dann sind es die, die die Bankenkrise verursacht haben, und die, die ihr Geld ins Ausland schaffen." Diese Gruppen wolle Westerwelle "bei sich behalten".
Westerwelle machte seinerseits enorme Zustimmung für seine Kritik aus. "Die meisten Menschen finden es unerträglich, wenn jemand, der arbeitet, oft weniger hat, als wenn er nicht arbeiten würde", sagte der Vizekanzler dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Auf die Frage, ob er sich von Merkel mehr Unterstützung in der Debatte wünschen würde, ging Westerwelle gar nicht erst ein. Auch die Frage, ob die Kanzlerin im Bundestag Stellung nehmen sollte, ließ er offen.
FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger forderte die Union unterdessen auf, die Erfolge der schwarz-gelben Koalition deutlicher hervorzuheben. Ihrer Partei gehe es darum, dass die Balance des Sozialstaats stimme, sagte sie der "Südwest Presse". Und der FDP-Fraktionsvorsitzende im Kieler Landtag, Wolfgang Kubicki, plädierte für "verbale Abrüstung".
Auch CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich rief zu mehr Fairness auf. Die Interpretationen hätten inzwischen "hysterische Züge" angenommen, kritisierte der CSU-Politiker. Guido Westerwelle habe schließlich nur gesagt, was viele Menschen "zu Recht" dächten: "Dass diejenigen, die arbeiten, mehr haben müssen als die, die nicht arbeiten."
Auch Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) begrüßte Westerwelles Forderung, über das Lohnabstandsgebot zu diskutieren. CSU-Chef Horst Seehofer sagte, seine Partei spreche die Sprache derer, die bei Siemens in Bad Neustadt, Quelle in Fürth oder Nachtmann in Riedlhütte ihre Arbeitsplätze verloren hätten, obwohl sie gerne arbeiten würden. Diese Begegnung mit der Realität würde er auch denen wünschen, die das als sozialistisch einstuften, sagte Seehofer mit Blick auf die Äußerungen Westerwelles. "Ich hätte meine Worte anders gewählt."