Auch die anderen unionsgeführten Länder wollen Ausgleich für Steuerausfälle. Erste Kompromisslinien zeichnen sich ab.

Berlin/Kiel. Der Bund habe verstanden, dass Schleswig-Holstein keine Sonderregelung für sich verlange, hat Peter Harry Carstensen gestern nach seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) gesagt. Vielmehr sei "verstanden worden", dass die Länder angesichts der Schuldenbremse Schwierigkeiten mit zusätzlichen Belastungen bekämen. "Ich habe", so Carstensen sichtlich zufrieden, "den Eindruck, dass der Bund unsere Sorgen ernst nimmt und versteht."

Wie die Kuh vom Eis geschafft werden soll - das heißt, auf welche Weise der Bund den Ländern entgegenkommen wird -, das behielten die Beteiligten gestern noch für sich. Die Länder favorisieren inzwischen die Idee, dass ihnen der Bund einen zusätzlichen Prozentpunkt der Mehrwertsteuer-Einnahmen abtreten möge. In Kiel ist man dafür, die Ministerpräsidenten von Sachsen, Stanislaw Tillich, und aus dem Saarland, Peter Müller, haben sich ebenfalls schon klar dafür ausgesprochen. Daneben gibt es allerdings noch andere Vorschläge. Etwa die Verschiebung der - vor allem von Bayern vehement geforderten - Mehrwertsteuerermäßigung für die Hotellerie oder den Verzicht auf Änderungen bei der Erbschaftssteuer.

Fest steht: Die Bundesregierung ist auf das Ja aller schwarz-gelb regierten Bundesländer angewiesen, wenn am Freitag im Bundesrat über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz abgestimmt wird. Ist man sich nicht einig, kann das Gesetz nicht zum 1. Januar in Kraft treten. Ein schlimmerer Fehlstart wäre für die Union und für die Liberalen wohl kaum denkbar.

Am Donnerstag will die Kanzlerin auf dem Klimagipfel in Kopenhagen auftreten. Spätestens am Mittwoch sollte die Problemlösung in trockenen Tüchern sein. Am Mittwoch treffen sich die Ministerpräsidenten turnusgemäß in Berlin.

Schon Anfang vergangener Woche sah sich der schleswig-holsteinische Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) veranlasst, seinen Amtskollegen einen Brief zu schreiben. Grund war das allseitige Misstrauen, Schleswig-Holstein hätte vor, durch sein hartnäckiges Nein zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz in Berlin einen Bonus für sich allein herauszuschlagen. Eine "Lex Carstensen", hieß es aus den anderen schwarz-gelb regierten Bundesländern, dürfe es aber auf gar keinen Fall geben. Wiegard versuchte, dieses Misstrauen zu zerstreuen. Es komme ihm "besonders darauf an", schrieb er seinen Kollegen, "klarzustellen, dass ich keinerlei Sonderkonditionen für Schleswig-Holstein erbeten habe". Trotzdem warnte am Freitag Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff (CDU) die Kanzlerin überraschend scharf davor, dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten seine Zustimmung zu dem umstrittenen Steuerpaket finanziell zu versüßen, und stellte Angela Merkel eine klassische Zwickmühle. "Eine isolierte Einzellösung für Schleswig-Holstein", so Wulff mit Blick auf das bevorstehende Treffen Angela Merkels mit Carstensen, "würde dazu führen, dass im Bundesrat die Stimmen Schleswig-Holsteins für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz da sind, die Stimmen Niedersachsens aber nicht mehr." Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust hatte es vorher verbindlicher formuliert. Er würde es gut finden, so der der CDU-Politiker, "wenn die Länder eine gemeinsame Linie fänden, um dem Bund klarzumachen, dass das, was da in Berlin vereinbart wurde, so im Moment schlichtweg nicht finanzierbar ist".

Bundeskanzlerin Merkel und Bundsfinanzminister Wolfgang Schäuble haben in den zurückliegenden Tagen zwar mit der Verlässlichkeit tibetanischer Gebetsmühlen versichert, dass man nicht auf einem "Basar" sei und dass es ein "Herauskaufen" einzelner Länder nicht geben werde, aber glauben mochte man das zwischen Hamburg und München, Dresden und Stuttgart offenbar nicht. Zu markig hallten die Worte von Peter Harry Carstensen nach, der lautstark gedroht hatte: "Wir werden einem Gesetz, das uns belastet, nicht zustimmen!" Tatsächlich schiebt Schleswig-Holstein eine Schuldenlast von rund 24 Milliarden Euro vor sich her. Carstensen, der befürchtet, dass ihm das Steuerpaket der Bundesregierung Ausfälle von 130 Millionen Euro bescheren wird, will das nicht hinnehmen. Zumal die Länder ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen dürfen, so schreibt es die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse vor.