Die Krebsdiagnose ist nicht der erste Schicksalsschlag, den der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine wegstecken muss.
Berlin. "Eigentlich will man nicht dauernd angefeindet werden", hat Oskar Lafontaine vor gut einem Jahr gesagt. Es war einer der seltenen Augenblicke, in dem er einmal nicht selbst austeilte, in dem er durchblicken ließ, dass nicht alles an ihm abperlt, was Unfreundliches, ja, Hasserfülltes über ihn gesagt und geschrieben wird. Gestern Nachmittag hat Oskar Lafontaine mitgeteilt, dass er sich morgen operieren lassen wird. "Ich werde mich am Donnerstag zu einem seit Längerem geplanten chirurgischen Eingriff in eine Klink begeben", hieß es knapp in der von ihm veröffentlichten Erklärung. Es handele sich um eine Krebserkrankung.
Anschließend gab es in Berlin einen Augenblick ergreifender Stille. Immerhin hatte die Affäre, die der "Spiegel" dem Linkspartei-Vorsitzenden in seiner aktuellen Ausgabe mit der Kommunistin Sahra Wagenknecht unterstellte, den politischen Betrieb seit dem Wochenende kräftig belebt. Das Nachrichtenmagazin hatte behauptet, Lafontaines plötzlicher Rückzug vom Vorsitz der Bundestagsfraktion hätte private Gründe. Wegen der angeblichen Affäre mit Wagenknecht sei der 66-Jährige "daheim unter Druck geraten". Lafontaines Frau hätte den Rückzug ihres Mannes aus Berlin gefordert, und dieser Rückzug sei bereits vor der Bundestagswahl beschlossen gewesen.
Lafontaine selbst äußerte sich am Montag der "Saarbrücker Zeitung" gegenüber. "Unhaltbare Gerüchte über unser Privatleben", sagte er, "kennen meine Frau und ich seit vielen Jahren." Das sei nichts Neues. Auch Vorwürfe der Wählertäuschung wies Oskar Lafontaine scharf zurück. Die seien "absurd". Schließlich sei er noch immer Parteivorsitzender und Bundestagsabgeordneter. Weil er gleichzeitig eine Erklärung für die "kommenden Tage" ankündigte und hinzufügte, dann werde "die Nation" mehr über seine Pläne erfahren, spekulierte die Zeitung, Lafontaine werde mitteilen, ob und wie lange er sein Bundestagsmandat und/oder das Landtagsmandat behalten wolle.
Mit diesen Mutmaßungen hat Oskar Lafontaine gestern aufgeräumt. Er hat sich einmal mehr als Mann der Tat erwiesen und sich zu seiner Erkrankung bekannt. Wohl auch in dem Wissen, dass der Vorsitzende einer Partei nicht ohne triftige Begründung wochenlang abtauchen kann. Er werde, hat Lafontaine mitgeteilt, nach überstandener Operation "zu Beginn des neuen Jahres unter Berücksichtigung meines Gesundheitszustandes und der ärztlichen Prognosen darüber entscheiden, in welcher Form ich meine politische Arbeit weiterführe".
Frühestens Anfang 2010 wird sich also entscheiden, ob Oskar Lafontaine sich tatsächlich als alleiniger Vorsitzender der Linken zur Wahl stellt. Bereits vor ein paar Monaten hat er diese Kandidatur ja an sein persönliches Befinden geknüpft. Damals hat er gesagt: "Solange ich gesund bin, werde ich weiter mitmischen." Und dieser Satz, der damals leicht dahingesprochen schien, hallt heute wie ein unheilvolles Echo nach.
Die Krebsdiagnose ist nicht der erste Schicksalsschlag, den der ehemalige SPD-Vorsitzende wegstecken muss. Im Bundestagswahlkampf 1990, in dem er als SPD-Kanzlerkandidat gegen Helmut Kohl antrat, wurde Lafontaine Opfer eines Messerattentats. Eine geistesgestörte Frau verletzte ihn lebensgefährlich am Hals, und die Attacke erschütterte Lafontaine nachhaltig. "Ich habe dieses Trauma, dass ich plötzlich völlig aus der Bahn geworfen wurde", sagte er noch Jahre später.
An Lafontaines Ruf als "linker Scharfmacher" oder gar "gefährlichster Mann Europas" hat das wenig geändert. Schon als SPD-Politiker - lange vor seinem Wechsel in die neu formierte Linke - galt der langjährige Oberbürgermeister von Saarbrücken und Ministerpräsident des Saarlands als äußerst schillernde Persönlichkeit. 1998 überließ er Gerhard Schröder die Kanzlerkandidatur, und nach der gewonnenen Bundestagswahl trat er als Finanzminister in das rot-grüne Kabinett ein.
Doch die öffentlich beschworene Männerfreundschaft - "Zwischen uns passt kein Blatt Papier!" - hielt bekanntlich nicht lange vor. Schon wenig später gerieten sich Lafontaine und Schröder über den wirtschaftspolitischen Kurs ihrer Regierung in die Haare, und am 11. März trat Lafontaine ohne Vorwarnung vom Ministeramt und vom Parteivorsitz zurück. Danach galt er in der SPD als Persona non grata. Und nicht wenige hassen ihn dort bis heute.
Der Rest ist Geschichte. Kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 ist Oskar Lafontaine aus der SPD ausgetreten, danach schloss er sich der Wahlalternative WASG an. Seit 2007 führt er, gemeinsam mit Ex-PDS-Chef Lothar Bisky, die Linke. Im vergangenen August wollte es Oskar Lafontaine dann noch einmal richtig wissen. Bei der saarländischen Landtagswahl trat er für die Linke als Ministerpräsidenten-Kandidat an. Doch das Rad der Zeit ließ sich nicht zurückdrehen. Die Partei erzielte zwar sensationelle 21,3 Prozent, aber für den Posten des Regierungschefs reichte es nicht. Nicht einmal für eine Regierungsbeteiligung.
Danach hielt man ihn für lustlos und frustriert. Seit gestern Nachmittag kann man ahnen, dass Oskar Lafontaine in den zurückliegenden Wochen ganz andere Probleme mit sich herumgetragen hat.
Jetzt nimmt er einen Abschied auf Zeit. Und es ist anzunehmen, dass seine Gegner die Feindseligkeiten vorübergehend einstellen werden.