Es war ein heißer Herbst für die katholische Kirche in Deutschland: Vor zehn Jahren, im November 1999, verkündeten die Bischöfe das Aus für die kirchliche Schwangerenkonfliktberatung im staatlichen System.
Bonn. Papst Johannes Paul II. hatte sie angewiesen, nicht länger den Beratungsschein ausstellen zu lassen, der Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung ist. Der Konflikt um die Konfliktberatung wirkt bis heute nach. Viele Bischöfe, Laien sowie Verbände wie Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) hatten bis zuletzt dafür gekämpft, dass die rund 270 kirchlichen Beratungsstellen weiter innerhalb des staatlichen Systems Ansprechpartner für Frauen bleiben konnten, die eine Abtreibung erwogen. Der Papst und ein anderer Teil der Bischöfe sahen in der Ausstellung des Scheins dagegen eine Mitwirkung an Abtreibungen und damit eine Verdunkelung des kirchlichen Zeugnisses für die Würde des Lebens.
Der quälende Konflikt war eine Folge der deutschen Einheit: Eine gesamtdeutsche Regelung des Paragraphen 218 musste her. Eine erste, von SPD und FDP sowie 32 Unionsabgeordneten beschlossene Fristenregelung mit Beratungspflicht kassierte das Bundesverfassungsgericht 1993. Es beanstandete, dass der Gesetzgeber die Abtreibung als „nicht rechtswidrig“ bezeichnet hatte. Die Richter rügten auch das Beratungskonzept, da es keinen ausdrücklichen Auftrag an die Berater enthielt, „die schwangere Frau zum Austragen des Kindes zu ermutigen“.
Nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung und der entsprechenden Gesetzesreform hielt eine große Mehrheit der Bischöfe eine weitere Mitwirkung kirchlicher Beratungsstellen für möglich. Nur Erzbischof Johannes Dyba aus Fulda kündigte seinen Ausstieg an. Im September 1995 kritisierte dann Johannes Paul II. selbst die „Zweideutigkeit des neuen Abtreibungsgesetzes“. Die Bischofskonferenz reagierte mit einer Neufassung ihrer Richtlinien: Die Beratung müsse sich von dem Bemühen leiten lassen, „die Frauen zur Fortsetzung der Schwangerschaft und zur Annahme ihres Kindes zu ermutigen“.
Trotzdem verschärfte sich der innerkirchliche Konflikt. Anfang 1998 forderte Johannes Paul II. die Bischöfe ausdrücklich auf, Wege zu finden, dass kirchliche Beratungsstellen keine Scheine mehr ausstellten. Daraufhin legte die Bischofskonferenz im Frühjahr 1999 ein neues Konzept vor: Darin plädierten die Bischöfe für einen Verbleib im staatlichen System und schlugen anstelle des Beratungsscheins einen „Beratungs- und Hilfeplan“ vor. Dieser sollte mit der Rat suchenden Frau erarbeitet werden und rechtsverbindliche Zusagen über Hilfen enthalten.
Das reichte dem Vatikan nicht: Im Juni 1999 forderte der Papst die Bischöfe auf, den Beratungsschein um den Satz „Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden“ zu ergänzen. Die Bischöfe kündigten an, dem folgen und zugleich im staatlichen System bleiben zu wollen. Dem erteilte der Vatikan eine Absage; das entspreche nicht der Intention des Papstes.
Zwar hielten manche deutschen Bischöfe auch weiterhin an ihrer Linie fest: Im November 1999 trugen 13 der 27 Bischöfe dem Papst noch einmal ihre Bedenken gegen einen Ausstieg vor. Die Beratung verhindere im Jahr 5.000 bis 6.000 Abtreibungen. Zugleich erklärten jedoch in diesem Herbst mit Paderborn und Speyer die ersten Bistümer ihren Ausstieg.
Damit gab es keinen Spielraum mehr: Am 23. November 1999 verkündete die Bischofskonferenz, dass die Beratung „im Sinne der Weisung des Papstes“ neu geordnet werde. Am längsten Widerstand leistete der Limburger Bischof Franz Kamphaus, der die Beratung fortsetzte: „Nach meinen Erfahrungen“, erklärte er, „werden jetzt Lebenschancen für Kinder vergeben. Darum kann ich nicht verschweigen, dass mich die Verfügung des Papstes sehr schmerzt.“ Im März 2002 beendete der Papst den Alleingang des Bischofs, beließ ihn aber im Amt.
Seitdem haben die Bistümer die Arbeit der rund 260 Beratungsstellen von Caritas und SkF neu geordnet und teilweise ausgeweitet – ohne den Beratungsschein auszustellen. Zusätzlich wurden Stiftungen gegründet, die Hilfen für Mutter und Kind anbieten. Den Beratungsschein stellt allerdings der Verein „Donum Vitae“ weiter aus, den prominente Katholiken als Folge der Auseinandersetzung im September 1999 gründeten. Ein Netz von Beratungs- und Außenstellen an 190 Orten wurde aufgebaut. Sehr zum Unwillen des Vatikan und der Bischöfe: Sie forderten die deutschen Katholiken mehrfach auf, sich streng von dem Verein abzugrenzen.