Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) warnt im Abendblatt vor einer schnellen Steuerreform. Damit ist er nicht alleine.
Hamburg/Berlin. Die neue Schätzung zur Entwicklung der Staatsfinanzen hat den Spielraum für Steuersenkungen weiter eingeengt. Bund, Länder und Gemeinden dürften in diesem Jahr trotz der jüngsten Konjunkturerholung drei Milliarden Euro weniger einnehmen als bisher erwartet, teilte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gestern mit.
Die einbrechenden Staatseinnahmen verschärften den Streit von Union und FDP über Steuerentlastungen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christian Wulff warnte die Bundesregierung vor einer schnellen Steuerreform. "Die große Steuerstrukturreform muss in Ruhe erarbeitet werden", sagte Wulff dem Hamburger Abendblatt. Dass Deutschland eine Steuerreform nach den Grundsätzen einfacher, niedriger und gerechter brauche, könne dabei nicht bezweifelt werden.
Der niedersächsische Ministerpräsident sprach sich dafür aus, die bislang für das kommende Jahr vorgesehene Neuverschuldung von 86,1 Milliarden Euro nicht zu überschreiten: "Die leicht günstigere Einschätzung der Steuerschätzer hilft uns, im Rahmen der für 2010 vorgesehenen Nettoneuverschuldung die sinnvollen Maßnahmen der neuen Bundesregierung bei der Erbschaftssteuer, der Unternehmenssteuer und der Familienentlastung zu verkraften."
Die FDP beharrt indes auf ihrer Forderung nach raschen Steuersenkungen. "Die Steuerschätzung zeigt, dass wir dringend Impulse für Wachstum brauchen", argumentierte FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger. Parteivize Andreas Pinkwart drohte im "Kölner Stadtanzeiger": "Wenn die Union weiter die Verbindlichkeit der Beschlüsse in Zweifel zieht, werden wir das zum zentralen Thema der Landtagswahl in NRW machen." Dem Koalitionsvertrag zufolge will Schwarz-Gelb die Bürger um weitere sieben Milliarden Euro entlasten, nachdem die schwarz-rote Vorgänger-Regierung bereits ein Entlastungsvolumen von 14 Milliarden Euro beschlossen hatte. Ab 2011 sollen sich die Steuersenkungen jährlich auf bis zu 24 Milliarden Euro belaufen.
Der neue CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich hält eine Steuerstrukturreform in dieser Legislaturperiode nicht mehr für machbar. "Am Ziel einer Steuerstrukturreform halten wir fest. Das wird nicht bis 2013 gelingen, aber wir arbeiten daran", sagte Friedrich dem "Handelsblatt". In so komplexen Systemen wie bei der Steuer seien radikale Reformen kaum möglich. Finanzminister Schäuble sagte, 2010 seien die vereinbarten Pläne der Koalition machbar. Für 2011 müsse man die Haushaltslage berücksichtigen.
Die SPD wertet die Steuerpläne von Schwarz-Gelb als finanzpolitische Abenteuer. Der designierte Parteivize, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, sagte: "Wir können uns diese Art von Steuersenkung nicht leisten." Grünen-Chef Cem Özdemir forderte "stabile Sozialabgaben statt Steuersenkungen, von denen nur wenige profitieren".
Auch die Kommunen sperren sich gegen die geplanten Entlastungen in zweistelliger Milliardenhöhe. "Die Finanzlage vieler Städte ist bereits jetzt verheerend und wird sich im kommenden Jahr noch weiter verdunkeln", erklärte die Präsidentin des Deutschen Städtetages, Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth. Die Steuerschätzung mache die "ganze Dramatik der Einnahmeverluste" deutlich.
Der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, warnte Deutschland und die anderen Euro-Staaten vor schnellen Steuersenkungen. Die Regierungen sollten darüber erst nachdenken, wenn sie ausreichenden Spielraum dafür geschaffen hätten.