Die Gesundheit wird für die Deutschen spätestens im kommenden Jahr wieder teurer. Die Kassen fürchten um den sozialen Frieden.
Hamburg/Berlin. Die Gesundheit wird für die Deutschen spätestens im kommenden Jahr noch teurer. Dabei werden aufgrund der angespannten Finanzlage (7,5 Milliarden Euro Defizit) im Prinzip alle gesetzlichen Krankenkassen eine Extraprämie einfordern müssen. "Die Finanzsituation ist so, dass alle Kassen in einen Zusatzbeitrag hineinlaufen", sagte die stellvertretende Vorsitzende der Barmer, Birgit Fischer, dem Abendblatt. Die Barmer wird nach der Fusion mit der Gmünder Ersatzkasse und dann 8,6 Millionen Versicherten von 2010 an wieder Deutschlands größte Kasse sein.
In Berlin streiten die künftigen Koalitionäre von Union und FDP darum, wie mit dem Gesundheitsfonds und dem Kassenloch umzugehen ist. Sollten die Kassen die Zusatzbeiträge wie geplant von ihren Versicherten fordern, würde allein der Verwaltungsaufwand Unsummen verschlingen. "Es kostet die gesamte GKV etwa 500 Millionen Euro, um nach dem geplanten Verfahren Zusatzprämien zu erheben. Dieses Geld sollte man besser in die medizinische Versorgung stecken", sagte Fischer.
Die Barmer fordert deshalb, dass die neue Regierung den Kassen ein einfacheres Verfahren erlaubt. So soll ein möglicher Zusatzbeitrag wie der normale Kassenbeitrag direkt vom Lohn abgezweigt werden. Dadurch würden die Versicherten prozentual zu ihrem Verdienst belastet. Und: "Unsere Forderung ist, dass bei Einnahmeausfällen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur die Arbeitnehmer einen Sonderbeitrag zahlen, sondern, dass die Arbeitgeber beteiligt werden und es einen Steuerzuschuss geben muss. Das ist wichtig für den sozialen Frieden."
Fischer hält es für falsch, den Anteil der Arbeitgeber einzufrieren und immer mehr den Arbeitnehmern und Rentnern aufzubürden. Allerdings fordern Unternehmerverbände, dass die Arbeitskosten nicht steigen. Die als Gesundheitsministerin gehandelte Ursula von der Leyen (CDU) sagte: "Dass der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht belastet wird, das ist absolut Konsens." Gestern sagte sie: Mit den Kostensteigerungen bei der Gesundheit "kann man die Versicherten nicht alleine lassen."
Barmer-Vorstand Fischer sieht größere Gefahren mit der Entwicklung im Gesundheitswesen verbunden: "Arme Menschen sind eher krank. Sie dürfen nicht in eine Krankheitsspirale kommen. Das würde die Spaltung der Gesellschaft noch vorantreiben." Die FDP sieht den Gesundheitsfonds als Quell allen Übels und will ihn abschaffen. Doch das hält selbst der Augenarzt und FDP-Verhandlungsführer Philipp Rösler nicht mehr für realistisch. Mit der Regeländerung bei den Zusatzbeiträgen und mehr Spielraum für die Kassen kämen sich Union und FDP näher. Gut möglich, dass der Koalitionsvertrag unter der Überschrift Gesundheit viel Wolkiges und wenig Konkretes enthält. Wer würde verantworten wollen, vor der Landtagswahl im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr die Gesundheitskosten steigen zu lassen?
Barmer-Vize Fischer sagte: "Die Zahl der Kassen wird sich weiter verringern, sodass es in einigen Jahren nur noch 30, 40 gesetzliche Kassen gibt. Viele Versicherte werden von kleinen zu den großen Kassen wechseln, weil der Beitragssatz keine Rolle mehr spielt. Der Wettbewerb geht in Zukunft darum, welche Kasse die beste Versorgung, den besten Service, die beste Patienteninformation bietet."