Die 27-köpfige Runde aus Unions- und FDP-Politikern traf sich erstmals unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin.
Berlin. Wenn das kein Signal war! Horst Seehofer hatte sich eine schwarzgelb gestreifte Krawatte umgebunden, als er vor der nordrhein-westfälischen Landesvertretung vorfuhr, wo gestern Nachmittag die Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der FDP begannen. Er persönlich habe ja schon „siebzehn Jahre mit der FDP erlebt“, zwitscherte der CSU-Vorsitzende lächelnd in die Mikrofone und Kameras, und dass man gewiss „kollegial“ miteinander umgehen werde.
Ganz so, als habe es in den vergangenen Wochen nur eitel Sonnenschein zwischen ihm und Guido Westerwelle gegeben. Der FDP-Vorsitzende (mit bayerisch hellblauem Binder!) mochte nicht ganz so dick auftragen. Es werde während der Gespräche sicherlich „auch Meinungsunterschiede“ geben, sagte Westerwelle, aber die seien „überbrückbar“. Schließlich kennten alle Beteiligten ihre Verantwortung für das Land. Das war ganz im Sinne von Angela Merkel, die gut gelaunt bekräftigte, dass man entschlossen sei, die Koalitionsgespräche „in großer Fairness“ zu führen. Zwar sei klar, dass es unterschiedliche Verhandlungspositionen gebe, sagte die CDU-Vorsitzende, andererseits habe man von den Wählern den Auftrag bekommen, gemeinsam „vernünftige Politik“ zu machen. Was sie darunter versteht, sagte die amtierende Bundeskanzlerin auch: „Auf Wachstum und Arbeitsplätze setzen.“
Drinnen war unterdessen alles vorbereitet. Im Europasaal war sogar Teppich auf dem Steinboden verlegt worden, um zu verhindern, dass irgendjemand während der Gespräche kalte Füße bekommt. Und diese Gespräche könnten sich durchaus hinziehen, auch wenn die künftigen Koalitionspartner zwei Daten ins Auge gefasst haben. Guido Westerwelle würde sich zweifellos gern auf dem Brüsseler EU-Gipfel (29./30. Oktober) als neuer deutscher Außenminister präsentieren. Angela Merkel möchte als wiedergewählte Kanzlerin am 3. November vor dem US-Kongress in Washington reden.
Beschlüsse wurden gestern noch nicht gefasst. Zunächst skizzierten die drei Parteivorsitzenden in Eingangsstatements ihre Ziele. Anschließend stand der Zeitplan zur Diskussion. Für viele Lobbyisten war der gestrige Auftakt der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP so etwas wie ein vorgezogenes Weihnachtsfest, und prompt lieferten Deutschlands Interessenverbände vorher noch schnell ihre Wunschzettel bei der kommenden Regierung ab. So warnte die Gewerkschaft der Polizei die Unionsparteien davor, den Koalitionsvertrag „auf Kosten der inneren Sicherheit“ zu schließen.
Mit einer Art eigenem Regierungsprogramm wartete der Bundesverband der Verbraucherzentralen auf: Er fordert unter anderem eine Reform des Gesundheitsfonds, eine Stärkung des Verbraucherministeriums, mehr Anlegerschutz, eine Anpassung des Datenschutzes sowie eine länderübergreifende Initiative zur Verbraucherbildung. Vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe kam die Aufforderung an die neue Bundesregierung, „den darniederliegenden Wohnungsneubau wieder in Schwung zu bringen“. Der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer erklärte, gerade jetzt, in der Krise, müssten die Substanzsteuern weg – kommen müsse hingegen die „dauerhafte Verankerung der degressiven Abschreibung“.
Wie erwartet verlief die erste Runde in der NRW-Vertretung harmonisch. Bereits um 18.35 Uhr traten die drei Generalsekretäre gemeinsam vor die Tür der Landesvertretung, um den wartenden Journalisten einen ersten Eindruck zu vermitteln. Die große Vorfreude auf eine künftige Zusammenarbeit sei allen Beteiligten anzumerken, sagte Ronald Pofalla (CDU). In angenehmer Atmosphäre hätten sich die je neun Teilnehmer von CDU, CSU und FDP unter anderem über die Struktur des geplanten gemeinsamen Koalitionsvertrags verständigt. Dieser solle Deutschland „in ein gutes neues Jahrzehnt führen“. Alexander Dobrindt berichtete, man habe bereits „die Leitlinien für den Erfolg formuliert“. Und Dirk Niebel (FDP) bestätigte, dass man in einem „sehr offenen, sehr kollegialen Klima“ zusammensitze.
Die große Delegation will bereits am Donnerstag das nächste Mal zusammenkommen. Weitere Sitzungen der Verhandlungsgruppe sind am 14. sowie am 16., 17. und 18. Oktober geplant. Die Arbeitsgruppen, etwa zu den Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, sollen schon heute mit ihren Beratungen beginnen. Wie es aus beiden Parteien hieß, organisieren die Gruppen Zeitpunkt und Ort der Verhandlungen sowie das inhaltliche Vorgehen selbstständig. Zur Stärkung standen gestern zunächst Obst und Gemüsespießchen auf dem Tisch. Sollten die Gespräche sich hinziehen, stehe auch eine gehaltvollere Mahlzeit bereit, hieß es aus der NRW-Vertretung. Man sei in der Lage, das Catering der Verhandlungsdauer anzupassen.