“Gute Laune verbreiten“ schien die Devise in Berlin, bevor Vertreter von Union und FDP sich zur ersten Runde ihrer Gespräche über einen Koalition trafen..
Berlin. Die Stimmung war gut. Und es wirkten irgendwie abgesprochen. Wer auch immer von den schwarz-gelben Möchtegern-Koalitionären vor den Mikrofonen stehen blieb - die ersten Worte waren zumeist gleich: „Gut gelaunt ... sehr zuversichtlich ... bester Stimmung.“ Dabei hatten Liberale und Vertreter der Union sich bis kurz vor Beginn der Koalitionsverhandlungen noch gehörig über die Inhalte und das Verfahren gestritten.
Rein äußerlich stehen die Signale nach den Wahlkampfzeiten auf Freundschaft. Bis hin zur Kleidung haben die Verhandlungsspitzen offensichtlich auf kleine Botschaften gesetzt. Angela Merkel erscheint vor dem Glas-Bau der NRW-Landesvertretung in hoffnungsfroh grünem Blazer. Guido Westerwelle hat sich eine bayerisch-hellblaue Krawatte aus dem Schrank geholt, nachdem er im Wahlkampf vor allem von der CSU scharf angegangen worden war. Horst Seehofer wiederum zeigt mit einem gelb-schwarz gestreiften Binder, dass er nun Frieden mit dem ungeliebten neuen Partner im Bund sucht, mit dem er seit einem Jahr am Kabinettstisch in München sitzen muss.
Demonstrativ versammeln sich die drei zu einem Eingangsstatement. Merkel schnurrt, die Kameras klicken: „Wir werden diese Koalitionsgespräche in guter Partnerschaft, mit großer Fairness miteinander führen.“ Westerwelle spricht zwar Meinungsverschiedenheiten an, fügt mit fröhlichem Gesicht hinzu: „Das ist alles überbrückbar.“ Horst Seehofer schlüpft gleich in die Rolle des elder statesman, der ja schon so viel in seinem politischen Leben hinter sich habe. „Ich persönlich habe 17 Jahre mit der FDP erlebt.“ Er wolle für ein modernes, dynamisches Deutschland eine gute Koalitionsvereinbarung schließen. Dann gehen sie - und der Koalitionspoker ist für die nächsten drei,vier Wochen eröffnet.
Im Europasaal im Erdgeschoss der Berliner NRW-Vertretung am Tiergarten war schon zuvor auf den Steinboden extra Teppichboden verlegt worden, damit die 27 Koalitionäre auch bei langen Sitzungen keine kalten Füße bekommen. Am rechteckigen Konferenztisch sitzt Merkel neben Seehofer mit jeweils ihren Sekundanten zur Seite, direkt gegenüber Westerwelle im Kreis seiner Verhandlungsführer. Vom Dienstag an sollen schon die Verhandlungen in den einzelnen Arbeitsgruppen beginnen. Zehn sind es, wobei einige Themenfelder schon große Brocken sind. Haushalt/Finanzen zum Beispiel oder Verteidigung/Außenpolitik und Europa. Ursprünglich sollten die „AGs“ insgesamt nur rund sechs bis neun Experten aus den drei Parteien umfassen. Klein und schlagkräftig.
Nun werden bis zu sechs von jeder Seite in die Beratungen geschickt werden. Am Ende könnten die Gespräche zu einer Massenveranstaltung mit bis zu 180 Politikern werden. Zur Überraschung der FDP nominierte vor allem die CSU immer wieder Teilnehmer nach. Die FDP hatte Mühe, ebenfalls ihre Experten rechtzeitig zu informieren. Merkel und Seehofer handelten nach dem guten alten Prinzip: Teileund herrsche. Wenn möglichst viele mit an den Verhandlungstischen sitzen, desto geringer die Kritik im Anschluss, weil ja alle dabei waren, lautet deren Kalkül. Ob die großen Gruppen aber noch effektiv und rasch arbeiten werden, steht auf einem anderen Blatt. Bei der FDP löste dieses Vorgehen eher Befremden aus. „Altes, großkoalitionäres Denken“, vermuten die Westerwelle-Leute hinter dem Vorgehen von CDU und CSU.
Die Erwartungen sind hoch: Fast jede gesellschaftliche Gruppe in der Republik hat mittlerweile Koalitions-Prüfsteine veröffentlicht - also einen Katalog an Forderungen, den sie unbedingt verwirklicht sehen will. Vorreiter waren die Wirtschaftsverbände. Am Montag folgten etwa das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) mit dem Wunsch, dass die ausufernde Staatsverschuldung beendet werden müsse. DGB-Chef Michael Sommer hob auf seiner Festveranstaltung Stunden vor dem Start der Gespräche ebenfalls den Finger und forderte: Hände weg von den Arbeitnehmerrechten. Erste Beschlüsse wurden von der Sitzung am Montag nicht erwartet. Zunächst skizzierten Merkel, Seehofer und Westerwelle in Eingangsstatements ihre Ziele. Dann stand der Zeitplan zur Diskussion. Wie lange es gehen wird, darüber gehen an diesem ersten Tag die Meinungen auseinander. Merkel will wohl am liebsten als frisch gebackene Kanzlerin am 3. November vor dem US-Kongress in Washington reden. Dazu müssten sich alle am Riemen reißen. Rainer Brüderle, der sich das Amt des Wirtschaftsministers seit Jahren wünscht, stellt hingegen an diesem sonnigen Herbsttag schon auf lange Verhandlungswochen ein: „Ich hab' bis Dezember Zeit. Ich habe keinen Urlaub gebucht“.