Weil die kleineren Parteien größten Wert auf “Augenhöhe“ legen, sitzen sich CDU, CSU und FDP bei den Koalitionsverhandlungen mit jeweils neun Vertretern in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung gegenüber.
Berlin. Das Abendblatt sagt, wo es Übereinstimmungen gibt und wo die Knackpunkte liegen.
Haushalt/Finanzen: Union und FDP haben Steuersenkungen zu zentralen Forderungen in ihren Wahlkämpfen gemacht. Die Liberalen hielten auch am Wochenende an ihrer Steuerstrukturreform fest, die zu Entlastungen von 35 Milliarden Euro führen soll. Das sei finanzierbar, wenn man die Schwarzarbeit eindämme und "eine vernünftige Ausgabendisziplin" vereinbare, meinte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, nachdem er die neuen Zahlen zur Kenntnis genommen hatte.
Der Stufentarif der FDP sieht so aus: Für Einkommen bis 15 000 Euro soll ein Steuersatz von zehn Prozent gelten, zwischen 15 000 und 40 000 Euro von 25 Prozent und ab 40 000 Euro von 35 Prozent. Ehepartner erreichen die nächsthöhere Tarifstufe bei doppeltem Einkommen. Abzugsfähig sind, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, die Beiträge zur Krankenversicherung.
Die Union will die Steuerzahler um insgesamt 15 Milliarden Euro entlasten, vornehmlich durch die Abschaffung der sogenannten "kalten Progression". Dazu soll der Eingangssteuersatz von 14 auf zwölf Prozent abgesenkt werden und der Spitzensteuersatz erst ab 60 000 Euro Jahreseinkommen gelten. Aber während sich Kanzlerin Angela Merkel bislang nicht auf konkrete Daten festlegen lassen will, spricht die CSU bereits von 2011 und 2012.
Während CDU und CSU die Erbschaftssteuer erneut auf den Prüfstand stellen und umstrittene Elemente der schwarz-roten Unternehmenssteuerreform überarbeiten wollen, plant die FDP einen Zwei-Stufen-Tarif von zehn und 25 Prozent. Damit unterlägen unternehmerische Einkünfte einer Spitzenbelastung von etwa 28 Prozent.
Innere Sicherheit: Hier trennen Union und Liberale tiefe Gräben. Die FDP verlangt eine Stärkung der Bürgerrechte und will mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine Frau zur Justizministerin machen, die schon einmal von diesem Amt zurückgetreten ist, weil sie mit dem Großen Lauschangriff nicht einverstanden war. Den Liberalen geht es um die Novellierung des von CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble verschärften BKA-Gesetzes. Sie verlangen die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung, sind strikt gegen die automatische Kfz-Kennzeichen-Erfassung, und sie lehnen Internetsperren ab. Auch mit seiner Idee, die Bundeswehr notfalls im Inland einzusetzen, wird sich Schäuble an den Liberalen die Zähne ausbeißen.
Gesundheit: Gerade haben die Kassen erklärt, dass sie für 2010 ein neues Defizit von bis zu neun Milliarden Euro auf sich zukommen sehen. Das macht die Auseinandersetzungen um den erst zu Jahresbeginn eingeführten Gesundheitsfonds noch brisanter. Die Liberalen wollen ihn lieber heute als morgen abschaffen und wissen die CSU auf ihrer Seite.
Andererseits hat Angela Merkel gerade eine Art Bestandsgarantie für den Fonds gegeben: Er müsse "in der Grundstruktur" unangetastet bleiben. Die Kanzlerin will die FDP mit "Korrekturen" locken. So könnte die Begrenzung möglicher Zusatzbeiträge wieder abgeschafft und den Kassen ein Teil ihrer Autonomie zurückgegeben werden.
Arbeit: Die FDP sollte gar nicht erst versuchen, die bereits eingeführten Mindestlöhne oder den Kündigungsschutz zu knacken. Sie würde bei der Kanzlerin auf Granit beißen.
Atom/Energie: Union und FDP haben sich in ihren Wahlprogrammen für verlängerte AKW-Laufzeiten ausgesprochen. Man brauche die Atomenergie als "Brückentechnologie", so die Begründung. Doch unmittelbar vor der Aufnahme der Koalitionsverhandlungen vernahmen die Energiekonzerne zu ihrem Schrecken ganz andere Töne. Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) erklärte, es werde "weder einen Blankoscheck noch eine Ewigkeitsgarantie" geben, und FDP-Vize Andreas Pinkwart forderte am Wochenende die vorzeitige Stilllegung störanfälliger Reaktoren. Andernfalls, so Pinkwarts Drohung, könne es sehr wohl beim Atomausstieg bis 2022 bleiben.