Beim USA-Besuch soll Kanzlerin Merkel sich aufgeschlossen für die Anfragen des US-Präsidenten zu Guantánamo zeigen, meint Zypries.
Hamburg. Hamburger Abendblatt: Frau Zypries, Sie haben 1991 Ihren Studienfreund Frank-Walter Steinmeier zu Gerhard Schröder in die Staatskanzlei nach Hannover empfohlen. So begann seine politische Karriere. Ohne Sie gäbe es den SPD-Kanzlerkandidaten vielleicht gar nicht.
Brigitte Zypries: Ohne mich nicht, aber ohne viele andere auch nicht. Aber vor allem nicht, wenn Frank-Walter Steinmeier nicht selbst ein so guter Kanzlerkandidat wäre.
Abendblatt: Schafft diese Verbindung eine besondere Motivation für den Wahlkampf bei Ihnen?
Zypries: Die Tatsache, dass wir uns schon sehr lange kennen und schätzen und ich überzeugt bin, dass er ein sehr guter Kanzler wäre, gibt mir sicher noch eine ganz besondere Motivation.
Abendblatt: Wie sehr schmerzen Sie die schlechten persönlichen Umfrage-Ergebnisse für Frank-Walter Steinmeier im Gegensatz zu Kanzlerin Angela Merkel?
Zypries: Frau Merkel hat schon die ganze Zeit ihrer Kanzlerschaft gute persönliche Umfragewerte, erheblich bessere übrigens als die Union als Partei. Da spielt der Amtsbonus und der damit verbundene Bekanntheitsgrad sicher eine Rolle. Das mag zu Beginn des Wahlkampfs vielleicht ein kleiner Wettbewerbsnachteil für Frank-Walter Steinmeier sein, aber letztlich werden vor allem die Parteien gewählt werden. Steinmeier wird mit Unterstützung der gesamten SPD in den kommenden Wochen intensiv für ein gutes SPD-Ergebnis kämpfen.
Abendblatt: Einige Grüne zeigen sich auch offen für eine künftige Koalition mit der Union. Kommt Ihnen Ihr Koalitionspartner abhanden?
Zypries: Nein, die Sorge habe ich überhaupt nicht. Grundsätzlich gilt, dass alle demokratischen Parteien fähig sein müssen, miteinander zu koalieren. Entscheidend ist am Ende, wo es die größten Schnittmengen gibt. Und da sehe ich in wesentlichen Politikbereichen keine große Übereinstimmung zwischen Union und Grünen.
Abendblatt: Sollte die Große Koalition am 27. September abgewählt werden, werden Sie Innenminister Schäuble von der CDU als Ihren Sparringspartner vermissen?
Zypries: Nein, aber im Großen und Ganzen haben wir uns ganz gut verstanden. Wir haben gerade festgestellt, dass für mich der persönliche Umgang mit ihm oft einfacher war als mit seinem Vorgänger Otto Schily. Und er hat geäußert, dass er mit mir wesentlich besser zurechtgekommen ist, als ihm dies mit meiner Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin möglich gewesen wäre.
Abendblatt: An diesem Donnerstag reist Kanzlerin Angela Merkel zu US-Präsident Barack Obama nach Washington. Was raten Sie ihr, wie sie reagieren soll, wenn Obama sie erneut auf die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen anspricht?
Zypries: Es war immer gemeinsame Haltung der Bundesregierung, dass das Ziel eine Schließung von Guantánamo sein muss. Die Kanzlerin hat Obama bei seinem Dresden-Besuch zugesagt, dass Deutschland sich konstruktiv an der Lösung dieses Problems beteiligen wird. Wenn Obama um Hilfe bittet, sollten wir dann auch konstruktiv prüfen, wie wir unseren Beitrag leisten können, um auf dem Weg zur Schließung des Lagers voranzukommen.
Abendblatt: Palau und die Bermudas haben schon Gefangene aufgenommen. Blamiert sich die Bundesregierung mit ihrem ablehnenden Verhalten oder handelt sie im Interesse der Sicherheit ihrer Bürger?
Zypries: Auch Italien und Spanien haben ihre Bereitschaft signalisiert, Häftlinge aufzunehmen. Natürlich muss die Sicherheitsfrage geklärt werden, das gilt aber für alle Aufnahmeländer gleichermaßen. Für die beiden aktuellen Anfragen zur Aufnahme eines Tunesiers und eines Syrers liegen nach Ansicht des Innenministeriums bisher keine Unterlagen vor, die ausreichen, um zu entscheiden, ob und wie gefährlich sie sind.
Abendblatt: Sie sind gerade zur Internetpolitikerin des Jahres gewählt worden. Womit haben Sie sich diesen Preis verdient?
Zypries: Das könnten die Stifter sicher besser erläutern. Begründet wurde die Auszeichnung jedenfalls damit, dass ich eine Verfechterin der Urheberrechte und Eigentümerinteressen im Internet bin und auf einer gesetzlichen Regelung zur Sperrung der kinderpornografischen Internetseiten bestanden habe.
Abendblatt: Die Internetgemeinde empfindet dennoch die Sperrung kinderpornografischer Internetseiten als Zensur. Ist das berechtigt?
Zypries: Es ist berechtigt, dass die Internetgemeinde wachsam ist. Mit Recht weist sie auf Gefahren hin, wenn eine technische Infrastruktur geschaffen wird, die nicht nur für die Sperrung von Kinderpornografie-Seiten, sondern auch für solche mit anderen Inhalten verwendet werden kann. Ich halte es allerdings für übertrieben, bei der jetzt beschlossenen engen gesetzlichen Regelung von Zensur zu sprechen.
Abendblatt: Die Bürgerrechtsbewegung in den 70er-Jahren hat klar für Bürgerrechte gekämpft. Die Internetgemeinde will vor allem freien Zugang zu allem. Gehen da Maßstäbe verloren?
Zypries: Die Wahrnehmung hat sich verändert. Früher war stärker im Bewusstsein verankert, dass ein kopiertes Buch ein Urheberrechtsverstoß ist. Heute haben viele kein Unrechtsbewusstsein mehr, weil suggeriert wird, dass im Internet alles frei ist. Das ist falsch: Was offline strafbar ist, ist auch online strafbar.
Abendblatt: Die Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts ist auch strafbar. Werden diese Seiten als Nächstes im Internet gesperrt?
Zypries: Nein. Das Gesetz gilt für den Bereich der Kinderpornografie, und dabei wird es auch bleiben. Diese Seiten werden oft über Server im Ausland bereitgestellt und können deswegen von den deutschen Providern nicht sofort aus dem Netz genommen werden.
Abendblatt: Die Piratenpartei, die für ein freies Internet kämpft, hat großen Zulauf. In Deutschland hat sie mit dem übergetretenen ehemaligen SPD-Mitglied Jörg Tauss im Bundestag ein Mitglied. In Schweden bekam sie bei den Europawahlen 7,1 Prozent. Wächst eine neue Art von Extremismus?
Zypries: Nein, nach meiner Einschätzung ist das vor allem eine - auch in sich nicht homogene - Protestbewegung. Wir müssen uns das sehr genau ansehen und mit ihren Anhängern ins Gespräch kommen. Auch das Gesprächsangebot an die Internetgemeinde in Deutschland gilt. Es wäre kein guter demokratischer Stil, wenn sie sich dem - wie angekündigt - verschlösse.
Abendblatt: In Deutschlands größtem Terrorprozess gestehen die Angeklagten der Sauerland-Gruppe jetzt. Ist nun eine vollständige Aufklärung der Anschlagsplanungen möglich?
Zypries: Ich wünsche mir das. Vor allem bin ich froh, wenn es auf diese Weise gelingt, die Angeklagten ihrer strafrechtlichen Verantwortung zuzuführen.
Abendblatt: Sie haben in Ihrer Amtszeit ein großes Pensum von Gesetzen durchgesetzt. Sind Sie in der Terrorbekämpfung mit dem Gesetz zur Strafbarkeit von Aufenthalten in Terrorlagern zu weit gegangen?
Zypries: Nein. Wir haben einige wenige verbliebene Strafbarkeitslücken geschlossen, um terroristische Einzeltäter angemessen bestrafen zu können. Und im Übrigen ist meine Erfahrung, dass die Sicherheitsbehörden ihre Kompetenzen in der Terrorbekämpfung zurückhaltend und verantwortungsvoll einsetzen.