Der Sozialdemokrat fordert vor dem EU-Klimagipfel einen neuen Pakt für Arbeit und Umwelt zur Bekämpfung der Finanzkrise.

Berlin/Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Herr Minister, vergangenes Jahr standen Sie mit der Bundeskanzlerin an den schmelzenden Gletschern Grönlands und riefen dazu auf, den Klimawandel zu bekämpfen. Erinnern Sie sich?

Sigmar Gabriel:

Na klar. Aber wenn Sie darauf hinauswollen, dass diese Reise nur ein PR-Gag war, liegen Sie falsch. Wir haben eingelöst, was in Grönland versprochen wurde. Wir gehören zu den ganz wenigen Ländern in ganz Europa, die die Klimaziele von Kyoto 2012 übererfüllen.



Abendblatt:

Seit einiger Zeit sieht man nicht mehr Sie, sondern Finanzminister Steinbrück an der Seite der Kanzlerin, und es geht um die Rettung von Banken und Autobauern. Gerät der Klimaschutz ins Hintertreffen?

Gabriel:

Gerade jetzt ist Klimaschutz unverzichtbar. Ein europäischer New Deal für Arbeit und Umwelt, der massive Investitionen in Energieeffizienz, in Gebäudesanierung, Stromnetze und erneuerbare Energien auslöst, wäre zugleich das beste Rezept gegen die Finanzkrise.



Abendblatt:

Deutschland will Vorreiter im Klimaschutz sein, und die Bundesregierung kämpft in Europa für die Aufweichung von CO2-Grenzwerten bei Autos. Wie passt das zusammen?

Gabriel:

Es soll mir doch mal jemand begründen, wieso die schrittweise Einführung verbindlicher Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Autos ein gravierendes Problem für das Weltklima darstellt. Tatsache ist doch, dass bisher dafür überhaupt keine Grenzwerte gelten, jedenfalls keine verbindlichen.



Abendblatt:

Die Autobauer haben viele Jahre verstreichen lassen, ohne umzusteuern. Jetzt bekommen die Konzerne eine weitere Schonfrist ...

Gabriel:

Ich ärgere mich ja auch darüber, dass die Autohersteller nicht so klug waren, ihre freiwilligen Selbstverpflichtungen einzuhalten. Aber was hilft das? Es wäre doch fahrlässig, deswegen in die aktuellen Produktionszyklen der Automobilindustrie einzugreifen und damit Tausende von Arbeitsplätzen zu gefährden. Deswegen geben wir ihr eine Übergangsfrist bis 2015. Für diesen Kompromiss zahlt die Industrie einen hohen Preis: Bis 2020 muss sie den CO2-Ausstoß ihrer Neuwagen generell auf durchschnittliche 95 Gramm pro Kilometer beschränken.



Abendblatt:

Ihr Vorgänger Jürgen Trittin wirft Ihnen vor, immer nur die Wünsche der VW-Betriebsleitung zu erfüllen.

Gabriel:

Ich schätze Jürgen Trittin sehr, aber was soll er als Oppositionspolitiker machen? Er muss uns doch kritisieren, aber in Wahrheit wäre er wohl froh, wenn er in seiner Amtszeit einen Bruchteil dessen hätte bewegen können, was wir jetzt geschafft haben. Er konnte in seiner Amtszeit die Obergrenze für den CO2-Ausstoß im Emissionshandel nur um zwei Millionen Tonnen CO2 pro Jahr senken. Wir haben diesen Deckel ab 1. Januar 2008 um knapp sechzig Millionen Tonnen gesenkt. Und wir haben fast 30 Gesetze und Verordnungen durchgesetzt, mit denen wir den CO2-Ausstoß bis 2020 um rund 35 Prozent senken werden.



Abendblatt:

Die Europäische Union will den Kohlendioxidausstoß bis 2020 um 20 Prozent senken. Vor dem EU-Gipfel in der kommenden Woche verlangen Ministerpräsidenten von CDU und CSU, diese Ziele aufzuweichen.

Gabriel:

Statt nach Washington sollte Frau Merkel mal öfter zu ihren Ministerpräsidenten nach Hannover, Düsseldorf oder München reisen, um denen klarzumachen, worum es beim Klimaschutz geht. Ich bin überzeugt, dass die Ziele der Europäischen Union nicht zur Disposition gestellt werden. Deutschland tritt dafür ein, dass im Fall eines internationalen Abkommens die EU ihr Klimaschutzziel ohne neue Beschlussfassung von 20 auf 30 Prozent CO2-Minderung anhebt.



Abendblatt:

Erst einmal wollen Sie sich für Ausnahmeregelungen beim Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten starkmachen.

Gabriel:

Das produzierende Gewerbe ist heute schon praktisch vollständig von der Versteigerung ausgenommen und bekommt seine Emissionsberechtigungen kostenlos zugeteilt. Wir wollen diese Ausnahmen einschränken und nach Möglichkeit an bestimmte Kriterien binden. Unternehmen, die nur mit hohem Energieaufwand produzieren können und gleichzeitig dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, dürfen nicht dazu gezwungen werden, teure Emissionszertifikate für jede Tonne Kohlendioxid zu ersteigern, die sie emittieren. Ich will verhindern, dass zum Beispiel deutsche Aluwerke und Stahlhütten an den Klimaschutzauflagen kaputtgehen, während die Konkurrenz in China oder Indien fröhlich weiter die Luft verpestet und Investitionen und Arbeitsplätze aus Deutschland abzieht.



Abendblatt:

Die CDU hat jetzt beschlossen, die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern und die Gewinne in die Erforschung neuer Energien zu stecken. Lassen Sie mit sich reden?

Gabriel:

Es bringt nichts, die Betreiber anzubetteln. Konsequent wäre die Einführung einer Brennstoffsteuer. Aber das scheut die Union wie der Teufel das Weihwasser. Außerdem verschärft mehr Atomkraft das Problem der Endlagerung. Es wundert mich, dass die Union den Mut hat, Atomenergie als Ökoenergie zu bezeichnen. Nach dieser Logik ist das absaufende Endlager in der Asse wohl eine Biotonne. Ich schlage vor, die CDU/CSU sucht mal in Bayern und Baden-Württemberg nach einem Endlager. Aber da verlässt die Union ja jeder Mut. Die politische Feigheit ist da kaum zu überbieten. Die Wahl zwischen radioaktivem Müll und CO2 ist eine zwischen Pest und Cholera. Ich bin dafür, dass wir gesund werden. Das geht mit erneuerbaren Energien und modernen Kohlekraftwerken.