Der SPD-Politiker rühmt Schröders Reformpolitik und sagt voraus, dass die Arbeitslosenzahl weiter sinkt - trotz der Finanzkrise.
Hamburg/Berlin. Abendblatt:
Herr Minister, an diesem Sonnabend wird ein Sonderparteitag Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten und Franz Müntefering zum Parteivorsitzenden wählen. Ist die SPD damit aus dem Gröbsten raus?
Olaf Scholz:
Wir werden nach diesem Parteitag eine Führung haben, die dafür sorgen wird, dass die SPD gut abschneidet und alles rausholt, was drin ist.
Abendblatt:
Was ist denn drin?
Scholz:
Wenn wir bis zur letzten Sekunde Wahlkampf machen, können wir mit der Union bis zur Bundestagswahl gleichziehen und sie sogar im Endspurt übertreffen.
Abendblatt:
Um ein Haar wären Sie Parteichef geworden, Herr Scholz. Dann nämlich, wenn sich Kurt Beck an jenem dramatischen Sonntag am Schwielowsee mit seinem Personalvorschlag durchgesetzt hätte ...
Scholz:
Ich war bei diesen Gesprächen nicht dabei. Franz Müntefering wird wieder ein guter Parteivorsitzender sein, und ich bin sehr zufrieden mit seiner Wahl.
Abendblatt:
Müntefering und Steinmeier sind entschiedene Verfechter der Reformagenda 2010. Rückt die SPD wieder mehr in die Mitte?
Scholz:
Die SPD bekennt sich insgesamt zur Reformpolitik.
Abendblatt:
Das wird Frau Nahles überraschen.
Scholz:
Das wird es nicht. Wir haben allen Grund, zur Reform-Agenda zu stehen. Die Reformen haben sich ja ausgezahlt. Angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation ist es doch sehr bemerkenswert, dass Deutschland eine massive Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt erreicht hat. Ohne die Politik von Gerhard Schröder wäre das nicht möglich gewesen. Gleichzeitig haben wir es geschafft, den Sozialstaat zukunftsfest zu machen. Um es mit Brandt und Schmidt zu sagen: Wir schaffen das moderne Deutschland.
Abendblatt:
Mit welchem Koalitionspartner?
Scholz:
Die SPD kann Große Koalition. Sie kann auch Ampel mit FDP und Grünen. Wir sind die Partei mit den meisten Optionen nach der Bundestagswahl.
Abendblatt:
Vor allem, wenn Sie die Linkspartei dazunehmen.
Scholz:
Wir werden auf Bundesebene keine gemeinsame Regierung, auch keine Tolerierung oder etwas Ähnliches mit der Partei Die Linke machen. Es gibt keine andere Partei, mit der wir so wenige Gemeinsamkeiten haben.
Abendblatt:
Es gibt Sozialdemokraten, die sagen: Was nach 2009 ist, weiß kein Mensch.
Scholz:
Ich kann mir bei dem, was die Partei Die Linke heute vertritt, überhaupt keine Zusammenarbeit in Fragen der Bundespolitik vorstellen. Und ich beobachte, dass die verbohrten Positionen eher zunehmen. Ich hoffe, dass in Deutschland dauerhaft Bundesregierungen ohne die Partei Die Linke gebildet werden können.
Abendblatt:
Wie wahrscheinlich ist eine Fortsetzung der Großen Koalition?
Scholz:
Am Ende entscheiden das die Wählerinnen und Wähler. Für eine gewisse Zeit haben Große Koalitionen ihre Berechtigung. Es tut dem Land gut, dass die beiden Haupt-Wettbewerber um die politische Führung zeigen, dass sie auch gemeinsame Sache machen können. Und für die SPD läuft die Sache nicht schlecht. Wir setzen ein weitgehend sozialdemokratisches Regierungsprogramm um, das komplett den Forderungen widerspricht, mit denen die Union in den Bundestagswahlkampf gegangen ist.
Abendblatt:
Einigen Sie sich noch bei der Erbschaftssteuer?
Scholz:
Die CDU will zu ihrem Wort stehen, und die CSU wird es wohl auch noch schaffen. Wir sind uns im Prinzip schon seit vor der Sommerpause einig. Aus Rücksicht auf die bayerische Landtagswahl haben wir der CSU ermöglicht, die endgültige Verständigung jetzt zu vollziehen. Nun muss es aber auch passieren.
Abendblatt:
Herr Minister, die Welt wird von der schlimmsten Finanzkrise seit den 20er-Jahren erschüttert. Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?
Scholz:
Die Finanzkrise muss keine gravierenden Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt haben. Ich habe natürlich auch ein mulmiges Gefühl, wenn ich die Zahlen der Börsen und Banken lese. Aber wir dürfen jetzt nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren, sondern müssen das tun, was wir tun können.
Abendblatt:
Zum Beispiel?
Scholz:
Die Arbeitsvermittlung muss die leistungsfähigste öffentliche Institution unseres Landes werden. Neben Schulen und Hochschulen ist sie von existenzieller Bedeutung für die Zukunftschancen unseres Landes. Wir streben an, dass sich die Hälfte aller Beschäftigten bei der Bundesagentur für Arbeit auf die Vermittlung der Arbeitssuchenden konzentriert. Vor wenigen Jahren waren es noch zehn Prozent. Wenn uns solche Reformen gelingen, müssen wir auch in der rauen Zeit nicht mit einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit rechnen.
Abendblatt:
Wirtschaftsexperten sehen Deutschland am Rande der Rezession. Wie viele Menschen werden 2009 in Deutschland arbeitslos sein?
Scholz:
Die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen. Wenn wir ein wenig Glück haben, können wir die symbolisch wichtige Marke von drei Millionen jetzt sogar noch kurzzeitig unterschreiten. Das ist ein großer Erfolg sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik. Mein Rat an alle: Lasst uns das weitermachen. Die Prognose, die wir anstellen können, lautet: Wir haben die Chance, dass die durchschnittliche Arbeitslosenzahl im kommenden Jahr nicht über das Niveau von 2008 steigt. Und mein ganzer Ehrgeiz gilt dem Versuch, die Arbeitslosigkeit trotz aller Stürme weiter zu senken.
Abendblatt:
Sie haben Schulen und Hochschulen erwähnt. Was muss beim Bildungsgipfel am Mittwoch herauskommen?
Scholz:
Mir geht es darum, einen gesellschaftlichen Rahmen zu schaffen, in dem Mühe und Anstrengung belohnt werden. Wer Handwerksmeister ist, muss zum Studium zugelassen werden - auch ohne Abitur. Und ich bin froh, dass ich jetzt durchsetzen konnte, dass die 500 000 Langzeitarbeitslosen ohne Schulabschluss diesen nachholen können.
Abendblatt:
Sie wollen Mindestlöhne in immer mehr Branchen - der richtige Weg in Zeiten der Krise?
Scholz:
Mindestlöhne gehören zu einer modernen marktwirtschaftlichen Demokratie dazu, und Mindestlöhne schaffen Arbeitsplätze. Vergleichbare Länder wie Großbritannien, die Mindestlöhne eingeführt haben, konnten ein gewaltiges Beschäftigungswachstum verzeichnen.
Abendblatt:
Vielleicht trotz und nicht wegen der Mindestlöhne.
Scholz:
Anständige Löhne für anständige Arbeit führen zu mehr Wachstum. Diese Meinung vertreten Volkswirte in vielen Ländern. Für mich sind Mindestlöhne aber auch eine Frage der Moral. Wenn der Staat mit seinem starken Arm die Banken schützt, muss er auch die Menschen am unteren Rand unseres Wirtschaftslebens schützen. Die Wirtschaft wäre gut beraten, ihre Haltung zu Mindestlöhnen in dieser Krise zu korrigieren. Kein Banker, der jetzt nach staatlicher Hilfe ruft, darf noch den Mund aufmachen und sich gegen Mindestlöhne aussprechen.
Abendblatt:
Wollen Sie auch Höchstlöhne für Manager?
Scholz:
Banken, die staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, müssen akzeptieren, dass die Exzesse bei den Gehältern zurückgefahren werden. Eine Obergrenze von 500 000 Euro für die Manager solcher Banken halte ich für angemessen. Darüber hinaus sollten wir generell bei Vorstandsvergütungen genauer beschreiben, was noch als angemessen gelten kann. Und ein Aufsichtsrat, der unangemessene Vergütungen akzeptiert, sollte sich dafür verantworten müssen.
Abendblatt:
500 Milliarden Euro zur Stabilisierung der Banken - wo soll das Geld eigentlich herkommen?
Scholz:
Das Paket ist sehr intelligent konstruiert. Wenn alles gut geht, müssen wir nicht mit viel Geld einspringen.
Abendblatt:
Und wenn nicht? Ihr norddeutscher Parteifreund Ralf Stegner sagt bereits, kein seriöser Politiker könne Steuererhöhungen ausschließen.
Scholz:
Jeder seriöse Politiker muss jetzt versuchen, das Eintreten einer solchen Situation zu vermeiden.
Abendblatt:
Viele Sparer und Anleger haben in den vergangenen Wochen Geld verloren. Sie auch, Herr Scholz?
Scholz:
Nein, glücklicherweise nicht.