Professor Eckhard Jesse ist Parteienforscher an der TU Chemnitz.

Hamburger Abendblatt:

Herr Prof. Jesse, verhält sich die Union klug, indem sie die Atomkraft zum Wahlkampfthema macht?

Prof. Eckhard Jesse:

Ich halte es für sinnvoll angesichts der ökonomischen Schwierigkeiten, die wir haben, und angesichts der steigenden Benzinpreise, dass die Union darauf hinweist, dass Deutschland einen Energiemix braucht. Wir dürfen keinen Sonderweg einschlagen. Die Union darf allerdings nicht den Eindruck erwecken, wie früher die Gegner zu sagen: Atomkraft - nein danke, beziehungsweise heute: Atomkraft - nur das! Es geht um längere Laufzeiten. Die Bürger sehen in ihrem Geldbeutel, wie hoch die Benzinkosten sind.



Abendblatt:

Würde das nicht eine Partei wie die Grünen als Koalitionspartner abschrecken?

Jesse:

Das bildet für mich keinen Hinderungsgrund für ein mögliches Bündnis mit FDP und Grünen. Auch die Grünen haben erkannt, dass ein gewisses Umdenken nötig ist. Daran wird nichts scheitern. Es wird ja nicht angestrebt, nur noch Atomkraftwerke zu haben.



Abendblatt:

Wie soll Atomkraft bei den hohen Benzinpreisen helfen?

Jesse:

Energie aus Atomkraft könnte Öl anderswo überflüssig machen, sodass es günstiger wird.



Abendblatt:

Fürchten die Deutschen die Gefahren der Atomkraft nicht mehr?

Jesse:

Die Deutschen neigen ja zu einer gewissen Hysterie, Stichwort Tschernobyl. Meines Erachtens hat die Atomkraft durchaus gewisse Risiken, aber es tritt langsam ein balancierteres Bewusstsein ein. In anderen Ländern ist die Wahrnehmung auch weniger hysterisch.