Berlin. Ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts sorgt derzeit bundesweit für Aufsehen. Nach der Entscheidung vom Montag muss das Diesterweg-Gymnasium im Stadtteil Wedding dem muslimischen Schüler Yunus M. (14) ein tägliches Gebet in der Schule ermöglichen. Und zwar ungestört, in einem "für andere nicht ohne weiteres zugänglichen Bereich des Schulgeländes.
Yunus M. und sieben andere Mitschüler hatten im November 2007 in einer Pause auf dem Flur gebetet. Die Schulleitung erfuhr davon und verbot weitere religiöse Bekundungen in der Schule unter Berufung auf das Neutralitätsgebot des Staates. Der Schüler und seine Eltern klagten daraufhin vor Gericht dagegen - und bekamen vorerst recht.
Die Dritte Kammer des Gerichts folgte der Argumentation der Schulleitung nicht und stellte fest, dass sich der Antragsteller auf seine Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes berufen kann. Dieses Grundrecht erstrecke sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden.
Demgegenüber habe die Schule nicht dargelegt, dass es "konkrete und nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen des Bildungs- und Erziehungsauftrags und des Schulbetriebes" gibt, so das Gericht. Insbesondere müssten Mitschüler oder Lehrer nicht "unentziehbar" der Gebetsverrichtung ausgesetzt werden. Es sei etwa möglich, ihm in der Pause einen Raum aufzuschließen. Im Übrigen erfordere das friedliche Zusammenleben in einer bekenntnisfreien Schule, dass die Schüler lernten, die religiöse Überzeugung anderer zu tolerieren und zu respektieren, so das Gericht.
Direktoren anderer Schulen fürchten nun, Gebetsräume einrichten zu müssen. Wolfgang Harnischfeger, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Schulleiter in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), fragte: "Was sollen wir tun, wenn an einer Neuköllner Schule 400 Muslime in der Pause beten wollen? Die Turnhalle räumen?" Auch Berlins GEW-Chefin Rose-Marie Seggelke übte scharfe Kritik an der Entscheidung des Gerichts. Das friedliche Miteinander verschiedener Kulturen und Glaubensrichtungen werde so erschwert. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag für alle Schüler könne nur in einem "weltanschaulich und religiös neutralen Rahmen" erfüllt werden.
Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) hat eine Prüfung der Gerichtsentscheidung angekündigt.