Berlin. Der Sonntag war der Tag der Schadensanalyse bei den Grünen. Und der Tag des Begreifens, was am Sonnabend auf dem Sonderparteitag in der Göttinger Lokhalle passiert war, als die Basis dem Afghanistan-Leitantrag der Parteispitze die Zustimmung verweigerte.
Die Grünen-Politikerin Krista Sager sagte dem Abendblatt, es habe sich "bitter gerächt, dass sich die Parteiführung nicht rechtzeitig auf ein gemeinsames Ziel verständigt hat". Sager ist Mitglied im Parteirat, dem zweithöchsten Gremium der Grünen, der auch den Bundesvorstand berät. "Der Sonnabend hat gezeigt, dass es sich die Parteiführung in Zeiten der Opposition nicht so leicht machen darf. Wir hätten an einem Strang ziehen und die notwendigen Entscheidungen der Partei im Vorfeld vermitteln müssen", resümierte Sager. Stattdessen hätte so mancher "herumtaktiert", und so sei "die Sache schiefgegangen". "Das wäre uns in der Regierungszeit nie passiert", sagte sie.
Bei den Grünen hatte man die schwache Rede des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin mit Verwunderung aufgenommen. Hätte der Parteilinke mit Ambitionen auf das Amt des Außenministers ein rhetorisch geschliffenes Plädoyer für den Leitantrag der Bundesspitze gehalten, vielleicht wäre der Parteitag anders ausgegangen. So aber muss er vernichtende Kritik ertragen. Man wirft ihm vor, feige gewesen zu sein, im Vorfeld zu lange taktiert zu haben. "Verloren hat, wer nicht gekämpft hat", so und ähnlich hieß es bei vielen, die sich von ihm mehr Führungsstärke erhofft hatten.
Der schleswig-holsteinische Grünen-Chef Robert Habeck ist nach dem Aufbegehren der Basis vor allem von Jürgen Trittin enttäuscht. "Trittin hat seine Verantwortung nicht ausreichend wahrgenommen", sagte Habeck dem Abendblatt. Dieser sei in seiner Rede - anders als Parteichef Bütikofer und andere - auf die entscheidenden Punkte gar nicht eingegangen, weil sie unpopulär waren. "Nach Göttingen hat Trittin einiges wieder gutzumachen." Aber natürlich habe die gesamte Führungsriege durch das Votum der Basis eine "schwere Niederlage" erlitten.
Der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der am Sonnabend eine flammende, fast militaristische Rede pro Tornadoeinsatz gehalten hatte und so die ohnehin schon aggressive Stimmung weiter aufgeheizt hatte, nannte die eigene Partei wegen des Beschlusses einen "Kindergarten". "Die Partei wollte in dieser Frage politisch nicht relevant sein. Das, was sie jetzt beschlossen hat, kann Lafontaine aber besser", lautete sein vernichtendes Urteil.
Vielleicht waren die angesetzten sechs Stunden, die der Sonderparteitag dauern sollte, auch einfach zu optimistisch bemessen gewesen. "Es fehlte einfach das Ventil, bei dem die Basis schon im Vorfeld hätte ihren Unmut ablassen können", analysierte Habeck. Krista Sager versuchte indes, der Situation etwas Positives abzugewinnen: "Vielleicht ist es ganz gut, dass das jetzt passiert ist." Sie will bei der Bundestagsabstimmung über das kombinierte Isaf-/Tornadomandat ihr Recht auf Gewissensentscheidung wahrnehmen. "Ich möchte damit ein Signal setzen", sagte sie dem Abendblatt. "Die Luftaufklärung durch die Tornado-Flugzeuge kann doch nicht der Grund sein, dem überaus wichtigen Isaf-Mandat nicht zuzustimmen."