Hamburg. Wie sie wohl heute aussieht? Immer noch dieser trotzige, verschlossene Blick mit diesem leicht angedeuteten ironischen Lächeln im Mundwinkel? 25 Jahre Haft werden Brigitte Mohnhaupt äußerlich auf jeden Fall verändert haben. Vielleicht so sehr wie ihren damaligen Komplizen Christian Klar, der zumindest vor mehr als fünf Jahren bei seinem einzigen TV-Interview mit Günter Gaus wie ein hohläugiger Schatten wirkte.
57 Jahre alt ist Brigitte Mohnhaupt jetzt, Christian Klar 54. Das ist das Alter, das ihre Opfer gerade erreicht hatten, als die RAF um Mohnhaupt und Klar sie selbstherrlich ermordete. Ob den beiden bewusst ist, dass sie die Chance auf einen Neuanfang haben, zu einem Zeitpunkt, an dem sie anderen Leben ein Ende setzten?
Der damalige Generalbundesanwalt Siegfried Buback war so alt wie Brigitte Mohnhaupt heute, als im April 1977 die RAF unter ihrer Führung sein Leben auslöschte. Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto hatte gerade das Alter von Christian Klar heute erreicht, als ihn die RAF im Juli 1977 erschoss. Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer war nur unwesentlich älter: 62, als im Oktober 1977, seine Leiche im Kofferraum eines Audi 100 gefunden wurde. Zuvor war die Entführung der Passagiermaschine "Landshut" aus Sicht der Terroristen missglückt und damit auch die Freipressung der RAF-Gründer Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller. Sie begingen Selbstmord, nur Irmgard Möller überlebte. Die RAF hatte die Bundesrepublik mit einer ungeheuerlichen Blutspur durchzogen. Ihre "Offensive 77" zur Freipressung der Inhaftierten hatte das Land nachhaltig erschüttert.
Es ist eine kuriose Windung der Geschichte, dass genau 30 Jahre später die beiden Hauptakteure der RAF aus dieser Zeit die Chance auf eine Freilassung haben. Bei Mohnhaupt, die nach 25 Jahren das Recht auf Freilassung hat, solange von ihr keine Gefahr mehr ausgeht, handelt es sich allein um juristischen Vollzug. Am Montag wird das Oberlandesgericht Stuttgart über ihre Freilassung entscheiden. Klar wäre auf die Gnade des Bundespräsidenten angewiesen. Plötzlich ist alles wieder ganz präsent. Die Toten von damals, die Hinterbliebenen, die Sinnlosigkeit.
Das Thema RAF, so hat der Terrorismus-Forscher Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung beobachtet, entwickelt in der Öffentlichkeit noch immer eine "denkwürdige Eigendynamik". Seine Experten-Meinung zu den möglichen Freilassungen ist derzeit bis in die USA gefragt. "Die Heftigkeit der Reaktionen", vermutet er, "dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass nun die Hauptakteure der Offensive 77 an der Schwelle zur Freiheit stehen." Mohnhaupt und Klar gelten bis heute als die unbelehrbaren Betonköpfe der RAF. Die beiden machten das Terror-Jahr 1977 erst möglich.
Mohnhaupt war von Baader instruiert worden. Bis zum Februar 1977 hatte sie das letzte Dreivierteljahr ihrer fünfjährigen Haft wegen Mitgliedschaft in der RAF ausgerechnet bei den RAF-Gründern in Stuttgart-Stammheim verbracht. Es war ein Zugeständnis der Justizverwaltung an die RAF-Gefangenen, aber auch ein verhängnisvoller Fehler. Baader inthronisierte Mohnhaupt als seine Nachfolgerin und entließ sie mit dem Befehl, die Gefangenen endlich aus Stammheim herauszupressen.
Mohnhaupt soll gewusst haben, dass die RAF-Gründer bei einem Fehlschlag Selbstmord begehen würden. Derartig "geadelt", sammelte sie die RAF-Kämpfer um sich und formte sie zur brutalsten RAF-Generation. Ihre einst politischen Ziele standen im Hintergrund, wichtig war nur noch die "big raushole", die Befreiung der Inhaftierten. Nur wenige Wochen nach Mohnhaupts Freilassung begann die Mordserie. Bis zu ihrer Verhaftung 1982 soll Mohnhaupt 37 Kämpfer angeführt haben. Dass sie diesen Faden heute in Freiheit noch einmal aufnehmen würde, glauben nicht mal mehr Deutschlands höchste Ankläger. Von Mohnhaupt und Klar geht keine Gefahr mehr aus. Kraushaar befürchtet nur, dass für Mohnhaupt von interessierter Seite Beifall für eine falsch verstandene Standhaftigkeit gespendet wird. Sie hat sich nie offiziell losgesagt von der RAF, nie etwas nach außen dringen lassen. Das könnte ihr in der Hierarchie der Entlassenen für manche einen Platz ganz oben einräumen.
Doch unter den Ehemaligen herrschen Spannungen. Wer bekennt sich noch wozu, wer hat sich losgesagt, wer zeigt Reue, wer hat andere angeschwärzt? Das spielt eine große Rolle bei den sporadischen Treffen. Jeder geht anders mit der Vergangenheit um. In Hamburg haben sich deswegen sieben Jahre lang ehemalige RAF-Terroristen und Unterstützer mit Psychotherapeuten getroffen, um gemeinsam ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Bald erscheint dazu ein Buch. Heimliche und offene Unterstützer, die Mohnhaupt und Klar in Freiheit auffangen würden, gibt es noch immer. Die Szene lebt in Hamburg, Berlin und Frankfurt.
Von Klar weiß man, dass er beim Berliner Ensemble in Berlin eine Anstellung bekommen könnte. Und Mohnhaupt? Abhängigkeit vom verhassten Staat in Form von Hartz IV? Es seien Entlassungsvorbereitungen getroffen, sagt der Leiter der Justizvollzugsanstalt Aichach, Wolfgang Deuschl. Dort sitzt Mohnhaupt ein. Wenn Mohnhaupt und Klar tatsächlich freikommen, bleiben nur noch Birgit Hogefeld und Eva Haule in der Haft zurück.
Haule könnte Ende des Jahres auch nach 21 Jahren entlassen werden, Hogefeld könnte einen entsprechenden Antrag im kommenden Jahr nach 15 Jahren stellen. Sie hat sich am weitesten von ihrer Vergangenheit distanziert und 1998 die Auflösung der RAF verkündet.
25 Jahre RAF-Terror haben 32 trauernde Familien zurückgelassen. Kann dieser Teil deutscher Geschichte dennoch abgeschlossen werden? Ein Schlussstrich? Ganz bestimmt nicht, meint Kraushaar. Wenn niemand mehr im Gefängnis sitzt, dann wird es weniger "hysterische Reaktionen" geben. "Was jedoch neben der historischen Aufarbeitung immer noch aussteht, ist die strafrechtliche Klärung einer Reihe von Mordanschlägen", sagt Kraushaar.
Noch immer weiß man nicht, wer Siegfried Buback, Jürgen Ponto und Hanns-Martin Schleyer erschossen hat - auch wenn zehn Terroristen dafür verurteilt wurden. Und wer sind die Mörder von Gerold von Braunmühl, Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder? Dies zu klären wird noch viel Zeit und Emotionen kosten.