Seit 2001 trifft der Schauspieler viermal im Jahr den verurteilten Terroristen. Becker fordert eine sachliche Aufarbeitung.
Abendblatt Sonntags: Wie haben Sie Christian Klar kennengelernt?
Rolf Becker: Als Gewerkschafter. Auf dem Gründungsgewerkschaftstag der IG Medien 1989 wurde von den Delegierten eine Resolution zu den Haftbedingungen der RAF-Gefangenen verabschiedet. Zwei Sätze daraus: "RAF- Gefangene sind auch Menschen." Und, von Klaus Bölling: "Der Staat hat in unserem Land, auch geschichtlich gesehen, noch allerhand an Mitmenschlichkeit nachzuholen." Anfang der 90er-Jahre hat die Jahreshauptversammlung der Hamburger IG Medien den Arbeitskreis "Politische Gefangene" beschlossen. Wir haben uns für die Freilassung von Irmgard Möller, Christine Kuby und Hanna Krabbe eingesetzt. Ende 1999 rief die Berliner Volksbühne zur "Freilassung der letzten Gefangenen der RAF" auf als "Gebot des Resthumanismus, ohne den auch diese Gesellschaft nicht existieren kann". Unser Arbeitskreis hat diesen Aufruf unterstützt und nach längeren Diskussionen im Hamburger Ortsverein mit Christian Klar Kontakt aufgenommen.
Warum er?
Becker: Er war das "rote Tuch", der am meisten Angefeindete. Uns war klar, dass auch die anderen Inhaftierten freikommen, wenn er einmal entlassen sein wird.
Wann begannen die Besuche?
Becker: Am 10. Januar 2001 waren wir zum ersten Mal und zu dritt bei Christian Klar. Das war eine große Ausnahme. Da für weitere Besuche aber nur ein Besucher zugelassen wurde, habe ich für den Arbeitskreis den Kontakt gehalten. Von April 2003 bis Januar 2006 war ich auf Vorschlag des Justizministeriums Baden-Württemberg und in Vereinbarung mit der Justizvollzugsanstalt Bruchsal ehrenamtlicher Betreuer von Christian Klar. Ich konnte ihn dadurch jederzeit besuchen, die Besuchszeit wurde ihm nicht angerechnet, unsere Briefe wurden nicht zensiert. Gleichzeitig hatte ich der Kontrolle meiner eigenen Person durch das Bundeskriminalamt zugestimmt.
Wie läuft so ein Besuch ab?
Becker: Es gibt mehrere Möglichkeiten. Zum Beispiel den Dialog per Mikrofon durch eine Scheibe. Sicherheitsbeamte überwachen das. Dann gibt es Räume mit einer Spiegelscheibe, hinter der die Sicherheitsbeamten sitzen, Tische und Stühle in dem Zimmer sind festgeschraubt. Und dann gibt es kleine Besucherräume mit Fenster zum Innenhof. Seit Langem schon treffen wir uns in solchen Räumen und ohne Bewachung.
Wie oft besuchen Sie ihn?
Becker: Etwa viermal jährlich. Nächste Tage werde ich ihn wieder besuchen. Zuletzt war ich Ende September da.
Was hatten Sie da für einen Eindruck von Christian Klar? Becker: Er wirkte angespannt, sicher auch, weil er weiß, dass das Gnadengesuch an den Bundespräsidenten in die Entscheidungsphase geht. Er nimmt sich emotional sehr zurück. Über seine sieben Jahre Isolationshaft klagt und spricht er nicht. Lange hat Christian Klar sich dem Anstaltsleben verweigert. Dann hat er angefangen, in der Wäscherei zu arbeiten, sich am Sport und am gemeinsamen Hofgang zu beteiligen. Er spielt auch in einer Basketball-Mannschaft der Anstalt mit. Er hat begonnen, sich auf ein anderes Leben vorzubereiten und sich sogar das Rauchen abgewöhnt. Er will arbeitsfähig bleiben, teilnehmen, sich einbringen und möchte nach der Freilassung nicht von einer sozialen Einrichtung oder dem Staat ernährt werden.
Das würde doch auch die Niederlage komplett machen, wenn Christian Klar sich nach einer Haftentlassung vom Staat, dem verhassten, alimentieren lassen müsste.
Becker: Deshalb ist das Angebot des Berliner Ensembles einer bühnentechnischen Ausbildung ein großes Glück.
Warum hat Christian Klar seine Verweigerung aufgegeben und sich dem Leben zugewandt?
Becker: Ich weiß es nicht. Vielleicht hängt es mit der Selbstauflösung der RAF 1998 zusammen. Aber er wird sich verantwortungsvoll verhalten. Auch der Gutachter soll Christian Klar als wahrhaftig und verlässlich bezeichnet haben.
Hätte es dieses Engagement, auch Ihrerseits, auch gegeben, wenn sich die RAF nicht aufgelöst hätte?
Becker: Die Frage stellt sich nicht für uns. Wir haben ja 1999 durch den Aufruf der Berliner Volksbühne, unterzeichnet auch von mehreren Intendanten - auch der Hamburger Theater -, den Anstoß bekommen, und da existierte die RAF bereits nicht mehr.
Wie denkt Christian Klar über seine Zeit als Terrorist? Sprechen Sie und er darüber?
Becker: Da ist Rücksicht angebracht, weil die Wände in der Haftanstalt vielleicht doch nicht so dicht sind. Christian Klar muss zurückhaltend sein. Wir reden nicht über Einzelheiten aus der damaligen Zeit. Er weiß um unsere Position, dass wir aufgrund unserer Zugehörigkeit zur Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung ablehnen, was die RAF damals gemacht hat. Und er akzeptiert diese Haltung.
Worüber reden Sie dann?
Becker: Über sein Befinden, meine Familie, die anderen im Arbeitskreis - über alles, was "draußen" geschieht. Weniger gefiltert als das, was er über die Medien wahrnimmt. Ich habe aber anfangs nie gewagt, ihm aus dem Urlaub zu schreiben oder davon zu erzählen, weil ich dachte, das löst unerfüllbare Sehnsüchte aus. Falsche Rücksicht. Er freut sich, wenn er hört, was wir mit den Kindern am Strand gemacht haben und wie der Urlaub sonst war. Er möchte teilnehmen an dem, was andere erleben.
Sind Sie Freunde?
Becker: Ja. Und gleichzeitig zögere ich, weil die Lage, in der er sich befindet, alles überdeckt. Wir tun so, als säßen wir bei uns zu Hause am Tisch, aber wissen gleichzeitig, dass wir uns in einer äußerst gut bewachten Einrichtung der Bundesrepublik Deutschland befinden. Hinter Mauern. Diese Eindrücke bestimmen auch einen Teil meines Alltags. Ich denke sehr viel an Christian Klar, besonders in schönen Momenten.
Aber Sie bekommen kein schlechtes Gewissen, dass Sie etwas Schönes erleben und Christian Klar nicht dabei ist? Schließlich gibt es einen Grund dafür, dass er gerade dieses Leben führt.
Becker: Das ist richtig. Aber was man erlebt, gibt man weiter. 25 Jahre Haft-davon kann man sich nicht freimachen.
Hat Christian Klar genug gebüßt?
Becker: Ich kann da kein Zeitmaß nennen. Eingesperrt zu sein ist für mich etwas Unvorstellbares, Ausgeschlossen sein von allem, was für uns Leben ausmacht. Verlust an Menschsein, 25 Jahre nur Befehle...
Aber Christian Klar hat sich auch zum Herrn über Leben und Tod gemacht.
Becker: Ich meine etwas anderes: Hier geht es um eine bewusst verhängte Strafe, und im Strafvollzugsgesetz steht sinngemäß, dass der Sinn aller Strafe die Rückführung in ein
Leben in Freiheit ist. Die Inhaftierung dient dem Schutz der Gesellschaft. Ist dieser Schutz im Falle von Klar gewährleistet? Alle Auskünfte in seinem Fall gehen in die Richtung, dass für die Gesellschaft keine Gefahr besteht.
Was halten Sie von der Debatte, dass Christian Klar Reue zeigen soll?
Becker: Der Bundespräsident befasst sich mit dem Gnadengesuch. Dass in der öffentlichen Debatte jetzt mit dem Begriff der Reue versucht wird auf seine Entscheidung Einfluss zu nehmen, finde ich unsäglich. Gnade wird gewährt, ohne eine Schuld damit zu tilgen, ohne etwas ungeschehen zu machen.
Seit Richard von Weizsäcker sind unter jedem Bundespräsidenten RAF-Gefangene begnadigt worden. Warum polarisiert jetzt Christian Klar?
Becker: Klar ist nach dem Mord an Hanns-Martin Schleyer zu einer negativen Symbolfigur worden. Außerdem zeigt die aufgeregte Diskussion, dass die Gesellschaft mit dem Thema RAF noch nicht abgeschlossen hat. Viele Einzelheiten der damaligen Zeit sind ja auch noch nicht bekannt.
Die RAF-Terroristen könnten für Aufklärung sorgen.
Becker: Möglich, dass eines Tages genau berichtet wird, wer welche Tat begangen hat. Die konkrete Aufarbeitung der Geschichte ist notwendig. Ich hoffe, dass langfristig die Diskussion versachlicht und vermenschlicht wird. Das ist von
gewerkschaftlicher Seite unser Anliegen. Um zu Klar ein Wort von Brecht zu zitieren: "Er trägt Menschenantlitz wie wir."
Welche Chancen räumen Sie dem Gnadengesuch ein?
Becker: Ich bin dem Bundespräsidenten dankbar, dass er sich mit der Angelegenheit befasst. Öffentliche Spekulationen verbieten sich.
Wie werden Sie sich um Christian Klar kümmern, wenn er freikommt?
Becker: Das hängt von seinen eigenen Wünschen ab. Aber das können wir jetzt nicht mit ihm diskutieren, weil damit Hoffnungen geweckt werden, die sich vielleicht nicht erfüllen. So weit Christian Klar es will und es notwendig ist, werde ich für ihn da sein.