Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl wird das Klima in der großen Koalition von Tag zu Tag frostiger: Während die SPD in scharfer Form einen Angriff von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf ihren Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier parierte, legte Schäuble selbst noch einmal nach.
Aus Bayern ließ sich der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer vernehmen, indem er den Sozialdemokraten einen Ausstieg aus der Berliner Koalition nahelegte.
In einer Erklärung der SPD-Führung, aus der die "Bild"-Zeitung (Samstag) zitiert, hieß es über Schäuble: "Die Äußerungen des Bundesinnenministers sind eine inakzeptable Entgleisung. Es ist zu hoffen, dass das für die Union nicht stilprägend wird - jetzt nicht, und nicht im Wahlkampf, der im Sommer beginnt."
Schäuble hatte Steinmeier kürzlich in einem Interview vorgeworfen, seine Äußerungen vor Opel-Mitarbeitern zur Zukunft des Unternehmens seien "versuchter Betrug". Die SPD konterte, Steinmeier habe "den Arbeitern in Rüsselsheim gerade keine unhaltbaren Versprechen gemacht, sondern Verantwortung der Politik in der Opelkrise gezeigt".
Schäuble beharrte im "Spiegel" darauf, dass Steinmeier den Arbeitnehmern vorgaukeln wolle, der Staat könne ihre Probleme lösen. "Diese Art von Täuschung und Unzuverlässigkeit ist nicht die Politik der Union." Die Bundesregierung werde auch durch Steinmeier nicht festgelegt. Schäuble: "Wenn Herr Steinmeier irgendwelchen Unsinn fordert, sind wir geradezu verpflichtet, diesen Unsinn zu verhindern."
Seehofer bezeichnete die SPD-Kritik an der Union als "reine Pöbelei". "Wenn es der SPD nicht mehr gefällt in der großen Koalition, soll es an der CSU nicht liegen, wenn sie aussteigen will", sagte Seehofer am Samstag in Erlangen bei der Aufstellung der CSU-Bundestagsliste.
Im Verhältnis zur Schwesterpartei CDU beteuerte der bayerische Ministerpräsident ein weiteres Mal den Willen zur Geschlossenheit. Trotz der kürzlich von Seehofer verkündeten "Epoche der Gemeinsamkeit" gab es in den vergangenen Wochen Streit in der Union über Mehrwertsteuer, Gesundheitspolitik, Papst-Kritik und die Vertriebenen-Politik. "Wir marschieren gemeinsam", sagte Seehofer in Erlangen. Sein Verhältnis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel sei sehr gut, betonte er am Rande der Veranstaltung.
Innenminister Schäuble räumte im "Spiegel" ein, dass sich die Union in einer schwierigen Lage befinde. Der Eindruck der Zerrissenheit sei nicht attraktiv. Die CDU müsse den Menschen ihre Politik besser erklären, sagte Schäuble. Er finde es nicht gut, dass die Union sich streite - "aber mir ist lieber, wir machen es jetzt als in drei Monaten". Wenn man die Union mit einem Testfahrzeug vergleiche, "dann sind wir gerade auf der Rüttelstrecke".